Europa & Umwelt: Gemeinsame Erklärung von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden im Dreyeckland


Veröffentlicht am 27.06.2012 in der Kategorie Umweltgeschichte von Axel Mayer

Europa & Umwelt: Gemeinsame Erklärung von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden im Dreyeckland

Das Europa, das wir bekommen, ist nicht das Europa, das wir wollen. Die Umweltzerstörung im Dreyeckland, im Herzen Europas, geht weiter.
Gemeinsame Erklärung von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden im Dreyeckland (Juli 1991)



Hier in unserer Region - im Elsaß, in der Nordschweiz und in Südbaden - liegen wichtige Wurzeln der europäischen Umweltbewegung. Vor knapp 20 Jahren haben wir grenzüberschreitend die AKWs in Breisach, Wyhl, Kaiseraugst und Gerstheim, das Bleiwerk in Marckolsheim und die Brennelementefabrik in Heitersheim verhindert und damit Schaden und Gefahren von unserer gemeinsamen Heimat abgewendet. Bereits damals ging es um die Gefahren einer ungehemmten wirtschaftlichen Entwicklung, die Gefahr eines möglichen "Ruhrgebiets am Oberrhein".
Seither hat sich vieles verändert. Das Umweltbewusstsein der Menschen hat zugenommen, und ein Netzwerk von Umweltgruppen, Bürgerinitiativen und Verbänden ist im Dreyeckland entstanden. Hat sich somit also alles zum Besseren gewendet? Hat sich die Umweltsituation so verbessert, dass es für die Umweltbewegung keine Aufgaben mehr gibt?
Wir, die BewohnerInnen des Herzens Europas, erleben im Moment die Realisierung Europas. Wir sehen die Vorteile für die Menschen, die offenen Grenzen, wir sehen aber auch die negative Realisierung der europäischen Einheit. Wir erfahren und erleben ein Europa, das sich sehr stark von dem Europa unterscheidet, das uns die PolitikerInnen immer anpreisen:
Ein Europa, in dem die gefährlichsten und umweltbelastendsten Großanlagen an die Grenze gebaut werden, um nationale Vorteile zu genießen, Risiken und Dreck aber international zu verteilen.
Nach Kehl soll ein großer Giftmüllofen; Appenweier, Breisach und Müllheim sind als Standorte für eine Müllverbrennungsanlage im Gespräch.
Am Hochrhein, in der Grenzregion, stehen vier von fünf Schweizer AKWs. Die Gefahr, die von diesen Atomanlagen ausgeht, soll jetzt durch Zubau noch gesteigert werden. Nach dem Scheitern der sogenannten Granitoption sucht die Schweizer Atomindustrie in dem unsicheren Sedimentgestein der Nordschweiz nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Im Schweizer Würenlingen läuft das Genehmigungsverfahren für einen Atommüllverbrennungsofen, für eine Atommüllfabrik und für ein atomares Zwischenlager, das zum Dauerzwischenlager zu werden droht. Die Bedrohung, die von der Basler Chemie und von neuen und alten Basler Müll- und Giftmüllöfen ausgeht, ist uns GrenzlandbewohnerInnen nicht erst seit der Sandoz-Katastrophe bewusst.
Im Elsaß, entlang der Rheinschiene, häufen sich Gefährdungspotenzial und umweltbelastende Großbetriebe. Das AKW in Fessenheim liefert den Strom für das bereits jetzt existierende "kleine Ruhrgebiet" im Raum Chalampé-Ottmarsheim. Und diese Industriezone wird wird zurzeit massiv ausgebaut. Die geplante Flachglasfabrik in Homburg, die Zitronensäurefabrik, die im Marckolsheimer Biberwald entstehen soll, und die Erweiterung eines der größten europäischen Aluwalzwerke in Neu-Breisach stehen für diese Entwicklung. Nicht Arbeitsplätze werden gefördert. Nein, Großfirmen, die 5000 qm für einen Arbeitsplatz fressen, werden geschaffen.
Unsere Region wird immer mehr zum Transitland, zur lärmenden, stinkenden Verkehrsachse Europas. Die Flughäfen werden erweitert und ausgebaut. Neue landschaftsfressende Straßen und andere Verkehrswege - aus nationalen Interessen jeweils doppelt, auf beiden Rheinseiten geplant - sollen realisiert werden und die europäischen Verkehrsströme durch unsere Heimat lenken. Wirtschaftsforscher und Industrie hoffen auf überdurchschnittliche Wachstumszahlen für die "Regio".
Die Folgen einer Gesellschaft, die Quantität über Qualität setzt, die glaubt, die selbstgeschaffenen Probleme nur mit immer mehr Wachstum in den Griff bekommen zu können, zeigen sich hier im Dreyeckland verstärkt. Die Folgen dieser Entwicklung sind die sterbenden Wälder in Vogesen, Jura und Schwarzwald, der Verlust der verbliebenen Landschaften (Rheinaue...) und der Verlust an Lebensqualität.
Und immer noch werden von PolitikerInnen und Industrie gezielt die alten Nationalismen benutzt, um gefährliche Projekte durchzusetzen und um Einsprüche über die Grenzen hinweg zu behindern.
"Auswärtige und Ausländer" ließ Ministerpräsident Filbinger im Februar 1975, bei der ersten Räumung des AKW-Geländes in Wyhl, gezielt verhaften, um diese "Fremden", die in Wirklichkeit die direkt betroffenen elsässischen Nachbarn und Nachbarinnen waren, gezielt gegen die Kaiserstühler Bevölkerung auszuspielen.
Enge Radien zieht das Schweizer Atomgesetz um Atomanlagen. Nicht der Export von Radioaktivität wird durch diesen Radius behindert. Nein, Einsprüche von "Auswärtigen", z.B. BadenerInnen, sollen verhindert werden.
"Großdeutsche Manier" wirft die Geschäftsführung der Firma Euroglas den kritischen Bürgermeistern des Markgräflerlandes vor, um damit gezielt antideutsche Vorurteile in der elsässischen Bevölkerung zu wecken.
Auch Bürgermeister Siegel von Marckolsheim lässt sich in Sachen Säurefabrik nicht gerne von "Auswärtigen" bestimmen. Wohlgemerkt, mit Auswärtigen meint er die badischen NachbarInnen, nicht etwa die auswärtige, österreichische Firma Jungbunzlauer, die die Zitronenfabrik bauen will.
In unserer Heimat am Oberrhein erleben wir aber auch noch eine andere Form des Versuchs, die Menschen grenzüberschreitend gegeneinander auszuspielen. Anlagen und Projekte, die im eigenen Land schwer durchzusetzen sind, werden jetzt einfach beim europäischen Nachbarn realisiert, das Lohngefälle genutzt, Dreck und Gefahren exportiert.
Neue Atomanlagen sind in der BRD schwer zu realisieren, also wird Atomstrom aus dem Schrottreaktor von Fessenheim importiert. Gentechnische Freilandversuche stoßen in der Schweiz auf großen Widerstand. Die Basler Chemiemultis realisieren ihre gefährlichen Pläne jetzt im Elsaß. Das ist die von uns erlebte europäische Realität. Ein Europa der Zerstörung, in dem die Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Wenn diese negative Entwicklung weitergeht, dann sehen wir eine große Gefahr:
Ein Europa, das nur von Wirtschafts- und Wachstumsinteressen bestimmt wird, ein Europa, das kein Europa der Menschen und Regionen wird, kann langfristig keinen Bestand haben.
Es ist in Gefahr, in wenigen Jahrzehnten, bei den nächsten größeren Krisen, zu zerfallen, so wie wir das jetzt in Jugoslawien und der Sowjetunion erleben.
Wir, aktive Gruppen der Umweltbewegung im Dreyeckland, praktizieren Europa seit 20 Jahren. Wir wollen ein ökologisches und soziales Europa der Menschen und Regionen. Wir wollen und müssen in Zukunft wieder verstärkt zusammenarbeiten. Einer breiter gewordenen Umweltbewegung fällt angesichts der Vielfalt von Themen und Aufgaben die nötige Bündelung der Kräfte schwer. Zudem sind wir mehr und mehr mit neuen, raffinierten Akzeptanzerhöhungs- und Durchsetzungsstrategien konfrontiert.
Dennoch, angesichts drohender Gefahren müssen und werden wir grenzüberschreitend zusammenstehen. Widerstand gegen umweltzerstörende Großprojekte und Planungen in Kehl, Homburg, Marckolsheim, Würenlingen und an anderen Stellen im Dreyeckland ist nötig und möglich.
Die Umweltbewegung steht erst am Anfang. Wir brauchen die Zusammenarbeit und die Bündelung aller Kräfte, wenn das Dreyeckland das blühende Herz eines ökologischen Europas werden soll.

Diese Erklärung wurde bisher von folgenden Gruppen unterzeichnet:
AG Morgenluft Weil; AGUS (Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Markgräflerland); Aktion Muttermilch - ein Menschenrecht; Alsace Nature (AFRPN); Badisch-Elsässische Bürgerinitiativen; BBU (Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz) Offenburg; BI Lebenswerte Regio, Markgräflerland; BI Renchtal; BI Riegel; BI Umweltschutz Münstertal; BUND-Nördlicher Kaiserstuhl, Ortenau, Renchtal, Staufen; BUND-Jugendgruppen Schallstadt, Staufen; CSFR (Comité pour la saufgarde de Fessenheim) Schirmeck; Drei-Länder-Forum Umwelt Basel; Elterninitiative Staufen; eyfa (European Youth Forest Action); Müll-Forum Freiburg; Naturschutzbund Deutschland (DBV) Ortsgruppe Müllheim, Leo Scherer (Sprecher der Aktion Beznau Stilllegen); Wyhl-Info-Büro Freiburg.

Kontaktadresse:
BI Riegel / Axel Mayer, Spitalstr. 9, D 7839 Riegel

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Protest & Bauplatzbesetzung: Wyhl, Kaiseraugust, Marckolsheim, Gerstheim


"Wenn das AKW Wyhl nicht gebaut wird, gehen in Baden-Württemberg die Lichter aus", sagte Ministerpräsident und Marinestabsrichter a.D. Hans Filbinger 1975. „Wenn wir die letzten drei AKW abschalten, gehen in Deutschland die Lichter aus“, drohen die atomar-fossilen Seilschaften heute. Die Zeiten ändern sich, aber die perfekt organisierten und immer wirksamen Angstkampagnen bleiben.
Axel Mayer




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2023 Lützerath - 1974-1975 Wyhl und Marckolsheim / Für Leben und Zukunft


Lützerath / Trotz alledem


Aufhalten konnten wir die Räumung nicht. Die atomar-fossilen Seilschaften und die Atom- und Klimakatastrophen-Verantwortlichen haben sich und uns in Lützerath wieder ein kleines Stück zu Tode gesiegt. Und dennoch war der gewaltfreie Kampf sinnvoll und notwendig. Er ist Sand im Getriebe der Weltzerstörung. Und ein Sandkorn kann ähnlich wie der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Sturm entfachen.
Axel Mayer



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Axel Mayer Mitwelt Stiftung Oberrhein
Mit Zorn und Zärtlichkeit auf Seiten von Mensch, Natur, Umwelt & Gerechtigkeit.


Getragen von der kleinen Hoffnung auf das vor uns liegende Zeitalter der Aufklärung (das nicht kommen wird wie die Morgenröte nach durchschlafner Nacht)



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