2024 / Freiburg, Umwelt? Ökohauptstadt?? - Eine Kritik an der "Ökoregion"


Veröffentlicht am 10.01.2024 in der Kategorie Stadt Freiburg von Axel Mayer

Freiburg, Umwelt? Ökohauptstadt?? - Eine Kritik an der "Ökoregion"


Vorwort zur Umweltregion Oberrhein – Südbaden
Freiburg, Südbaden und der Oberrhein gelten bundesweit als Ökoregion und mit Umweltthemen wird nicht nur für den Tourismus geworben. Es gibt durchaus auch einige Aspekte, die in Freiburg ökologisch fortschrittlich waren und sind. Doch auch in Südbaden ist nicht alles grün, was glänzt. Die globalen Zerstörungsprozesse laufen hier ein wenig langsamer als anderswo. Die Folgen der Umweltzerstörung, des Klimawandels und der massiv wachsenden sozialen Ungleichheit werden aber immer deutlicher sichtbar.

Hier einige Beispiele:


Freiburg: Green City oder grüner Schein?


Freiburg, die Stadt im Süden am Oberrhein, hat einen guten Ruf. Sie gilt als die Ökohauptstadt, gelegen im Sonnengürtel der Republik, der "Toscana Deutschlands". Hier wurde in Sachen Ökologie tatsächlich viel erreicht und doch bedeutet "Umwelthauptstadt" eigentlich nicht mehr, als dass die weltweiten Zerstörungsprozesse in Freiburg ein wenig langsamer ablaufen als anderswo.

Immer wieder erhielt die Stadt
mit ihren rund 231.195 EinwohnerInnen, darunter etwa 35.000 Studierenden, überregionale Umweltpreise:
1992 wurde sie als Ökohauptstadt, im Jahr 2004 als zukunftsfähige Kommune ausgezeichnet. Im bundesweiten Vergleich der Städte mit über 100 000 Einwohnern hat Freiburg (mit seinen 1800 jährlichen Sonnenstunden) auch schon mehrfach den ersten Platz in der Solarbundesliga gewonnen. "Bundeshauptstadt im Klimaschutz" ist Freiburg seit dem Jahr 2010. Die Stadt gewann den Wettbewerb in der Kategorie "Über 100.000 Einwohner" vor Frankfurt am Main und Heidelberg.

Die Wurzeln dieser positiven Entwicklung
liegen einige Jahrzehnte zurück. Noch bis 1962 war Freiburg eine eher verschlafene, konservativ - katholische Bischofs- und Universitätsstadt. Die Randlage in Deutschland und die Kriege mit Frankreich hatten dazu geführt, dass große umweltbelastende Betriebe in Freiburg und Südbaden nicht angesiedelt wurden.
Um das Jahr 1975
gab es in dieser, trotz SPD Bürgermeister, politisch eher konservativen Region massive ökologische Konflikte. So wurden nicht weit von Freiburg entfernt ein umweltbelastendes Bleichemiewerk im französischen Marckolsheim und drei Atomkraftwerke in Wyhl (D), Kaiseraugst (CH) und Gerstheim (F) durch Bauplatzbesetzungen verhindert. Der BUND und die Bürgerinitiativen organisierten 1976 die weltweit erste, große Ausstellung zu alternativen Energien, die "Sonnentage" in Sasbach am Kaiserstuhl.
Aus diesem erfolgreichen "Nein" zur Atomenergie
und dem frühen "Ja" zu den zukunftsfähigen Energieträgern entstanden regionale Netzwerke von UmweltschützerInnen.
Wichtige Wurzeln des Freiburger Ökoinstitutes, des Bund für Umwelt und Naturschutz, der Partei die GRÜNEN und der heutigen Freiburger Umwelt- und Energiefirmen liegen in diesen ersten großen, ökologischen Konflikten am Oberrhein.
Kritische und engagierte Menschen erzeugten so über viele Jahre hinweg immer wieder den nötigen politischen Druck, um ökologische Fortschritte zu erreichen und dies schlug sich auch in den Freiburger Wahlergebnissen nieder.

Schon 1986, nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl
und bedroht vom (zwischenzeitlich abgestellten) französischen AKW Fessenheim, hat Freiburg, als eine der ersten deutschen Städte, ein lokales Energieversorgungskonzept zum städtischen Klimaschutz verabschiedet: Energie-, Wasser- und Rohstoffverbrauch sollten gemindert, die Nutzung erneuerbarer Energien sowie der Einsatz neuer Energietechnologie vorangetrieben werden. Heute engagiert sich die Stadt in Sachen Klimaschutz.

Ökostrom für alle Privathaushalte Das ökologische Engagement der Menschen und die Ablehnung von Atomstrom in Freiburg schlägt bis in die Geschäftspolitik des Freiburger Energieversorgers Badenova durch. Seit dem 1.1.2008 beziehen alle Freiburger Tarif-Kunden der Badenova keinen Atomstrom.

Ein wichtiges (manchmal überlaufenes) Freiburger Vorzeigeprojekt
ist der ökologisch ausgerichtete Stadtteil Vauban mit seiner energie- und flächensparenden Bauweise. Die mehrfach ausgezeichnete BUND-Ökostation im Freiburger Seepark ist ein umweltpädagogisches Bildungsprojekt mit bundesweiter Ausstrahlung.

Hinter diesen und anderen erfreulichen Freiburger Erfolgen
steht die Arbeit engagierter Menschen, wie z.B. Solararchitekt Rolf Disch, Solarpionier Georg Salvamoser, der kritisch-kluge Vordenken der Anti-Atom-Bewegung Walter Mossmann, Nik Geiler vom AK Wasser des BBU, die AktivistInnen von Fridays for Future, von BürgerInnen, Menschen in der Freiburger Politik und Verwaltung, engagierten Leuten in den Umweltorganisationen und einer Medienlandschaft, die zumeist aufgeschlossener als anderswo über die Themenbereiche Mensch, Natur, Umwelt und Nachhaltigkeit berichtet.



Auch in einer Ökohauptstadt Freiburg ist nicht alles grün was glänzt.


Doch wo Licht ist ist auch Schatten.
So lebte der Marinestabsrichter und Ministerpräsident Hans Filbinger bis zu seinem Tod in Freiburg. In der NS-Zeit war an vier Todesurteilen beteiligt. Weit über Freiburg hinaus bekannt ist Bernd Raffelhüschen, Professor für Finanzwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität, ein neoliberaler Konzern-Lobbyist und Deregulierer, der gerne in den Medien als unabhängiger Experte auftritt, ohne seine berufliche Verknüpfung mit den Finanz-Konzernen aufzuzeigen. Wenn in Deutschland die Reichen reicher und die Armen ärmer werden, dann ist das auch sein "Verdienst". Ökologie und Neoliberalismus sind wie Feuer und Wasser.

Das jahrzehntelange umweltpolitische Engagement
der BürgerInnen hat sich ökologisch und ökonomisch gelohnt. Führende Solarforschungsinstitute sind in Freiburg zu finden, neben einer Vielzahl an kleinen und mittleren Betrieben, die sich in unterschiedlichster Form der Förderung und dem Einsatz der regenerativen Energien widmen.

Mit Fahrraddemos und anderen Protesten
forderten vor Jahrzehnten die Menschen die Einführung einer kostengünstigen Umweltkarte für den ÖPNV. Die vorbildliche Regiokarte zur Nutzung des ÖPNV in Freiburg und den Kreisen Emmendingen und Breisgau-Hochschwarzwald ist heute eine Selbstverständlichkeit.
Auch in die sonstige Förderung des umweltverträglichen Verkehrs haben Stadt und Region viel investiert. Der Anteil der Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel gegenüber dem Auto erreicht in Freiburg inzwischen Spitzenwerte. Freiburg möchte auch den Klimaschutz in den nächsten Jahren voranbringen: Bis 2030 will die Stadt die klimaschädlichen Emissionen um 40 Prozent senken.

Aus den Anfängen der Umweltbewegung
am Oberrhein hat sich eine große Dichte verschiedenster Umwelteinrichtungen entwickelt: Das Öko-Institut hat hier eine Geschäftsstelle, der Internationale Rat für Umweltinitiativen sein Europasekretariat, außerdem ist Freiburg Sitz des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme und des Weltdachverbandes Solarenergie.


Eines der großen Umweltthemen
am Oberrhein ist der zunehmende massive Flächenverbrauch. Während in anderen Gebieten Deutschlands die Bevölkerung abnimmt, boomt die Region und der Wachstumstraum und Wachstumswunsch ist insbesondere in den Landkreisen um Freiburg ungebrochen. Wer wollte nicht in der Ökohauptstadt, in der "Toscana Deutschlands" und im Sonnengürtel der Republik wohnen? Spätestens nach dem Zubau von Dietenbach wird die weitere Flächenexplosion Freiburgs noch verheerender als bisher in den beiden Nachbarkreisen stattfinden. So führt gerade der gute Ruf der Ökoregion zu Flächenverbrauch, Zersiedelung und einer Verscheußlichung der Landschaft am Oberrhein.
Der massive Klimawandel in Freiburg und am Oberrhein könnte diese Entwicklung stoppen.

Der von Protesten begleitete Ausbau der B 31
durch Freiburg wurde mit einem massiven Polizeiaufgebot durchgesetzt. Strassenausbau führt immer zu mehr Verkehr. Stadt und Region leiden unter dem zunehmenden Transitverkehr durch Freiburg (B 31) und auf der europäischen Nord - Südtrasse. Trotz Klimawandel wird der Ausbau der Autobahn A% von vielen PolitikerInnen immer noch massiv gefordert.

Jetzt soll die "Green City" Freiburg auch noch eine Stadtautobahn bekommen.
Mit der Umetikettierung der B 31 wollen die Planer den lange geforderten Stadttunnel mit Vollanschluss bei der Ganter-Brauerei möglich machen." berichten die Medien am 24. Mai 2012. Ein Stadttunnel bringt zweifellos eine Entlastung für die direkt betroffenen AnwohnerInnen. Ein Autobahnteilstück wird aber einen Bumerang-Effekt erzeugen, denn eine Autobahnsackgasse zieht noch mehr Durchgangsverkehr nach Freiburg, ins Dreisamtal und den Schwarzwald und schafft gezielt Sachzwänge für den Weiterbau. Auch die Freiburger Freude, dass jetzt "Andere" für den Tunnel zahlen, ist typisch für die Politik in diesem Lande, denn die "Anderen" sind doch immer wir alle als SteuerzahlerInnen. Im Zeitalter der Klimaveränderung und in einer Zeit, in der die teure Endlichkeit des Erdöls immer deutlicher wird, sollte nicht in Straßen, sondern in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr investiert werden.

"Green" City Freiburg und Autobahnausbau
Aktuell agieren die Lobbyisten auch in Freiburg fast ungestört für den klimaschädlichen sechsspurigen Autobahnausbau der A5 am Oberrhein. Ökologie und Nachhaltigkeit sind auch in Südbaden nur dünn aufgetragener Lack & Ökotourismuswerbung. Autobahnausbau bedeutet dauerhaft mehr Verkehr, Klimawandel, Feinstaub, Lärm und CO2. Die Forderungen der Lobbyisten und Autobahn-Privatisierer zeigen, was von den Klima-Reden der Mehrzahl der Politiker in Freiburg und in Paris zu halten ist.
Wie immer in der selbsternannten "Ökoregion & Green City" wird der Autobahnausbau natürlich heftig scheinökologisch parfürmiert und mit einem breiten Pinsel als notwendige Realpolitik grüngestrichen.

Es gibt eine kleine und eine große Logik
  • Die "kleine" Logik sagt: Immer mehr LKW, immer mehr PKW, immer mehr Verkehr. Wir müssen die Autobahn ausbauen. 1959 gab´s ähnliches Denken schon mal. Das damals erschienene Buch "Die autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos" führte tatsächlich zu einer menschenfeindlich-autofreundlichen Umgestaltung der Städte, die heute als Verbrechen an Mensch, Natur und Umwelt erkannt wird.
  • Die "große" Logik sagt: In Zeiten des Klimawandels dürfen wir keine Strukturen schaffen, die uns dauerhaft mehr CO2, Feinstaub und Lärm bringen. Wir müssen Verkehr reduzieren, LKW auf die Schiene bringen, Ferientermine entzerren und durch kluge Maßnahmen (Tempolimit...) den Verkehr besser und gleichmäßiger fließen lassen...

Raten Sie mal, welche Logik sich in der "Ökoregion" und der Green City Freiburg wohl durchsetzen wird?


Unter den Alt-Bürgermeistern Eugen Keidel und Rolf Böhme
wurde in Freiburg zu protzig gebaut und nicht an die Folgekosten gedacht. Heute sind mehr als die Hälfte der Freiburger Brücken, Mauern und Tunnel so marode, dass sie dringend saniert werden müssen. Doch dafür fehlt das Geld. Um den weiteren Verfall zu verhindern, müssten jährlich sechs Millionen Euro investiert werden. Bislang sind pro Jahr jedoch nur 1,3 Millionen vorgesehen.

Klimakrisenregion Freiburg und Oberrhein?
Das Zwei-Grad-Ziel ist der verzweifelte Versuch, die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen. Am Oberrhein und in Freiburg wurde diese Zwei-Grad-Marke schon überschritten. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass aus zukünftigen globalen zwei Grad mehr, vier Grad zusätzlich am Oberrhein werden. Die Hoffnung auf ein Erreichen des gewünschten globalen Zwei-Grad-Ziels ist in einer Welt die auf "unbegrenztes Wachstum" setzt und in der selbst in der "Ökoregion Oberrhein" die Autobahn sechsspurig ausgebaut werden soll, äußerst unwahrscheinlich. In der schwül-heißen Rheinebene hat sich die Anzahl der Sommertage, also der Tage mit über 25 Grad, etwa in Karlsruhe von rund 30 auf heute 60 verdoppelt und wird weiter ansteigen.


Während jede größere neue Solaranlage gebührend gefeiert wird,
ist die Verschwendung von 50 Megawatt Abwärme in der TREA Breisgau bei Bremgarten (hier wird auch der Freiburger Müll verbrannt) beinahe kein Thema in der Ökohauptstadt.Die TREA gibt seit dem Jahr 2004(!) täglich fast ungenutzt eine Wärmemenge an die Umwelt ab, die 120 000 Litern Erdöl entspricht und unser Protest gegen diese Verschwendung bringt erst langsam Fortschritte.

Der Anteil erneuerbarer Energien in Freiburg
ist immer noch gering. Die Stadt wollte bis zum Jahr 2010 zehn Prozent ihres Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen und den Stromverbrauch ebenfalls um zehn Prozent senken. Statt zehn werden bislang jedoch nur 3,7 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt. Zudem ist der Stromverbrauch nicht gesunken, sondern um drei Prozent gestiegen.In Sachen Ökostromerzeugung nutzt auch rot-grünes städtisches Wollen wenig, denn bisher wurde der Bau von Windrädern von Lobbyisten auch in Freiburg verhindert.

Die Gefahren der Gentechnik
werden im so genannten "Gentec-Biovalley" am Oberrhein nicht gerne diskutiert. Nicht nur an der Uni Freiburg will man an allem verdienen, am Umweltschutz, am Umwelttourismus und an der Gentechnik.

Ökologie, Klimaschutz und Umwelt
sind heute in Freiburg insbesondere dann große Themen, wenn sich damit Geld verdienen lässt. Selbstfindung und weit entfernte umweltpolitische "Modethemen" scheinen heute wichtiger als die Ausdehnung der umweltbelastenden elsässischen Schwerindustriezone. Greenwash, ein "grünes Mäntelchen" für umweltbelastende Industrieanlagen, ist am Oberrhein weit fortgeschritten, wo selbst die Atomkonzerne EnBW und EDF mit "aufildurhin" einen industriegelenkten "Umwelt"verband gegründet haben.


Die zentrale Zukunftsfrage
nach den "Grenzen des Wachstums"wird auch in Freiburg nicht gerne gestellt. Auch "grünes Wachstum" kann die Umwelt zerstören.


Der weltweite ökologischen Fußabdruck der "Green City" Freiburg
wird bei der Betrachtung der Stadt gerne übersehen. Unter dem ökologischen Fußabdruck wird die Fläche auf der Erde verstanden, die notwendig ist, um den (auch in Freiburg verschwenderischen) Lebensstil eines Menschen dauerhaft zu ermöglichen. Viele Güter und alle Rohstoffe die in Freiburg ver- und gebraucht werden, werden weit entfernt abgebaut und produziert. Sie belasten zwar nicht in der “Ökohauptstadt” die Umwelt sondern weit von ihr entfernt, dürfen aber bei einer objektiven Bewertung der Freiburger Ökobilanz nicht vergessen werden.

Zukunftsfähige Kommune und Ökohauptstadt Freiburg
heißt noch lange nicht: "Vorwärts zu Ökologie und Nachhaltigkeit". Ökohauptstadt Freiburg bedeutet, dass es unter Mühen regional gelungen ist die weltweiten Zerstörungsprozesse zu verlangsamen. Der Rohstoff- und Energieverbrauch, die Atommüll- und CO2- Produktion der FreiburgerInnen ist auch nicht ansatzweise nachhaltig und zukunftsfähig und lässt sich keinesfalls auf den "Rest der Welt" übertragen. Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit sind auch in Freiburg ohne soziale Gerechtigkeit nicht zu erreichen.


Die Menschen in Freiburg,
Umweltorganisationen und Umweltfirmen, aber auch eine engagierte Verwaltung haben in Sachen Umwelt und Nachhaltigkeit manches erreicht und es gibt auch viele Gründe, stolz auf das Erreichte zu sein.Freiburg ist in wichtigen Teilbereichen tatsächlich umweltfreundlicher als viele andere Kommunen. Die Stadt ist auf dem richtigen Weg die ersten Schritte gegangen und man kann von Freiburg lernen.

Doch der berechtigte Stolz
führt manchmal auch zu einer gewissen Behäbigkeit, zu einem Nachlassen der Anstrengungen und zum Irrglauben, (fast) alle Umweltziele erreicht zu haben. Auch der wichtige, fortschritts- beschleunigende Druck der Umweltbewegung hat nachgelassen.
Doch es gibt gerade auch in Freiburg keinen Grund, die Hände in den Schoß zu legen, denn von echter Nachhaltigkeit und tatsächlicher Zukunftsfähigkeit ist auch die Ökostadt noch weit entfernt.

Axel Mayer, Mitwelt-Stiftung Oberrhein, (Alt-)BUND-Geschäftsführer in Freiburg, Kreisrat und Vizepräsident im Trinationalen Atomschutzverband TRAS




Freiburg: Flächenverbrauch, Zersiedelung & Mensch, Natur & Umwelt



Breiburg im Breisgau?
Ein BUND-Kommentar für die Badische Zeitung

Schön, dass sich auch der Bund für Umwelt und Naturschutz zum drängenden Thema Flächenverbrauch in der „Green“ City äußern darf. Das vorgegebene BZ-Thema ist aber leider nicht etwa das „Internationale Jahr des Bodens 2015“ oder der globale und regionale Artenrückgang, sondern das Thema Wohnungsnot. Bei einem Natur-, Umwelt- und Menschenschutzverband wie dem BUND stehen selbstverständlich auch soziale Themen auf der Nachhaltigkeitsagenda. Da stellt sich auch für uns die Frage, ob immer richtig und sozial verträglich gebaut und geplant wurde und ob Wohnungsnot in Freiburg nicht auch viel mit Spekulation zu tun hat.

Nötig ist der sozialökologische Stadtumbau, der flächensparende Umbau des Gebäudebestands im Rahmen der Innenentwicklung. Gerade zu diesen Details (u.a. bebaubare Großparkplätze beim Regierungspräsidium in der Bissierstraße ...) haben sich der BUND und die Freiburger Umweltverbände immer wieder ortskundig, differenziert, aber von den Medien häufig unbeachtet geäußert.

Die „Green“ City ist mit einer unbequemen Wahrheit konfrontiert, die gerne verdrängt wird. Die Grenzen des Flächenwachstums sind fast erreicht, wenn Freiburg nicht die Hänge des Schwarzwaldes und die letzten Naturschutzgebiete und naturnahen Flächen im Westen auch noch zubauen möchte. In der „Green“ City wächst die Liebe zur bedrohten Natur...je weiter diese bedrohte Natur vom Rieselfeld und den stadtnahen letzten Wiesen entfernt liegt. Um die letzten bebaubaren Flächen werden jetzt die öffentlichen Konflikte ausgetragen, doch in der Realität wächst Freiburg schon lange entlang der Breisgau S-Bahn in den Landkreisen Emmendingen und Breisgau-Hochschwarzwald und dieser Trend wird sich noch verstärken. Angesichts dieser Realität kritisieren wir das immer noch vorhandene „Inseldenken“ in Freiburg und den beiden Nachbarkreisen. Hier muss zukünftig mehr regional gemeinsam geplant und gedacht werden, um noch mehr Zersiedelung, breiartige Siedlungsstrukturen und Verscheußlichung zu verhindern. Bei aller Kritik an örtlichen Fehlentwicklungen müssen wir anerkennen, dass Freiburg zumindest noch ein wenig ökologischer und flächensparender plant und baut als die wuchernden Umlandgemeinden.

Freiburg wächst für einige Jahre tatsächlich noch, obwohl die Bevölkerung im Bundesgebiet trotz Zuwanderung in den nächsten Jahrzehnten massiv abnehmen wird. Das Wachstum unserer Bevölkerung ist innerdeutscher Flächenkannibalismus. Wir wachsen, weil andere schrumpfen und das sind schon lange nicht mehr nur die Gebiete im Osten der Republik, sondern auch schon manche Schwarzwaldtäler. Die Bevölkerung in Freiburg und am Oberrhein wächst immer noch, weil es sich in der „Toskana Deutschlands“ so gut leben lässt und wegen des schönen warmen Wetters im deutschen Sonnengürtel. Doch diese Standortvorteile kehren sich gerade in ihr Gegenteil. Irgendwann merken die Menschen, dass wir gerade dabei sind alle Fehler des Molochs „Mittlerer Neckarraum“ zu wiederholen und der Klimawandel macht aus unserem Standortvorteil mit drückender Schwüle und unerträglicher Hitze im Sommer immer stärker einen Standortnachteil. Wenn in Freiburg und im Breisgau die Bevölkerung gegen die örtlichen Grenzen des Wachstums und gegen die Vernunft dennoch wachsen soll, dann braucht es den sozialökologischen Stadtumbau und eine vernünftige, bürgermeisterferne, gute Regionalplanung mit den Nachbarkreisen und naturverträgliches, soziales, menschengerechtes, nachhaltiges, schönes, langlebiges Bauen.

Axel Mayer, BUND-Regionalgeschäftsführer

Ein solcher pointierter Kurztext kann selbstverständlich nicht differenziert auf die gesamte Flächenverbrauchsproblematik in Freiburg und am Südlichen Oberrhein (und auch auf die immer damit verbundenen sozialen Fragen) eingehen.
*Hier[/link] finden Sie einen Vortrag zum komplexen Thema Flächenverbrauch und Verscheußlichung am Oberrhein






Universitätsbibliothek Freiburg: alte Bausünden, rückwärtsgewandter Fortschrittsglaube, Abriss & Verschwendung

Im Jahr 1978 errichtete das Land Baden-Württemberg gegenüber dem fast hundert Jahre alten Kollegiengebäude I nach Plänen des Universitätsbauamts am Rotteckring ein neues Gebäude für die Unibibliothek. “Hauptsächlich wegen altersbedingt abgängiger Technik (Klimaanlage) und der Notwendigkeit, Schäden an der Fassade zu beheben muss das Bibliotheksgebäude saniert werden.”, steht beschönigend bei Wikipedia und fast genau so beschönigend ist die Diskussion in der “Green City” Freiburg, denn manche Abrissgründe werden öffentlich nicht diskutiert. Neben den "offiziell" genannten und diskutierten Abrissgründen scheint es "nicht diskutierte" weitere Abrissgründe zu geben, u.a. den enorm hohen Krankenstand der MitarbeiterInnen der Bibliothek...

Realität ist, dass im Jahr 2012, 34 Jahre nach dem Neubau, der oberirdische Teil des Gebäudes fast vollständig abgerissen werden muss, während das gegenüber stehende Kollegiengebäude I aus dem Jahr 1911 vermutlich noch einmal hundert Jahre älter werden kann, wenn es einigermaßen gepflegt wird.


Es kann nicht darum gehen, heute so zu bauen wir vor 100 Jahren. Aber 1978, in einer Zeit, in der ständig alles Neue als technischer Fortschritt gepriesen wurde, hätte es doch möglich sein müssen, neue Gebäude langlebig, dauerhaft, flexibelfunktional und schön zu bauen.

Nein! Unser Herzblut hängt nicht an dem zeitgeist-scheußlich-parkhausähnlichen Gebäude der alten Unibibliothek. Wir kritisieren nicht den vermutlich leider notwendigen Abriss, wohl aber die traurige Notwendigkeit abreißen zu müssen. Der Abriss der wenige Jahrzehnte jungen Unibibliothek in Freiburg ist ein Beispiel für nicht nachhaltiges, verschwenderisches öffentliches Bauen (nicht nur) in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. 44 Millionen Euro muss jetzt das Um- und Neubauprojekt kosten.


Die Großbaustelle der maroden Freiburger Universitätsbibliothek zeigt, wie schnell und wie teuer viele öffentliche Bauwerke erneuert werden müssen. Bauwerke, die vor wenigen Jahrzehnten noch als „supermodern“ galten, bei deren Errichtung aber Nachhaltigkeit und Langlebigkeit offensichtlich kein Thema waren.

Heute sind mehr als die Hälfte der Freiburger Brücken, Mauern und Tunnel so marode, dass sie dringend saniert werden müssen. Doch dafür fehlt das Geld. Um den weiteren Verfall zu verhindern, müssten jährlich sechs Millionen Euro investiert werden. Bislang sind pro Jahr jedoch nur 1,3 Millionen vorgesehen.

Und relativ neue, mittlerweile sanierungsbedürftige Straßen, Flachdächer, Schulen, Brücken und andere öffentliche Gebäude gibt es im ganzen Land. Es gibt zu diesem Thema und zu dieser unglaublichen Milliardenverschwendung, die die öffentlichen Haushalte schwer belastet, allerdings keine politische Debatte, nicht einmal in der „Green City“.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland steht für Nachhaltigkeit, das heißt, nachfolgende Generationen sollen nicht mit den Langzeitwirkungen des heutigen Raubbaus belastet werden.

Aspekte der Nachhaltigkeit, Langlebigkeit und der Folgekosten haben bei vielen öffentlichen Bauten der Vergangenheit und Gegenwart keine große Rolle gespielt und weil es keine Debatte dazu gibt ist dies auch heute noch so. Die deutsche Staatsverschuldung liegt bei über 2.067.000.000.000 Euro und das hat auch mit dieser unhinterfragten verschwenderischen Art des Bauens in der Vergangenheit und der Gegenwart zu tun. Wenn die Sünden der Vergangenheit nicht aufgearbeitet werden, dann werden aus den Fehlern keine Lehren gezogen.

Wenn wir die habgierbedingt-gezielte Verkürzung der Produktlebensdauer von Zahnbürsten, Strumpfhosen, Computern, Gebäuden und anderen Dingen (Brustimplataten!) einfach so akzeptieren, wenn die Zyklen des Produzierens, Kaufens, Nutzens und Wegwerfens immer kürzer werden, dann brauchen wir uns über die absehbare Endlichkeit der Energie-Rohstoffreserven und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht zu wundern. Gute, schöne, sinnvolle, reparaturfähige Produkte möglichst lange nutzen... nur so können wir die Energie- und Rohstoffwende durchsetzen.


Immer noch wird bei öffentlichen Planungen und Bauten hauptsächlich auf die aktuellen Baukosten und viel zu wenig auf langlebigkeit und die künftig anfallenden Reparaturen geachtet. Wenn an der B3, zwischen den Gemeinden Wasser und Denzlingen, auf 3,3 Kilometern Bundesstraße sechs teilweise unnötige Brücken und Unterführungen gebaut wurden, wenn in Stuttgart ein funktionsfähiger Bahnhof abgerissen wird, dann sind solche Planungen nicht zukunftsfähig. Bei allen (nicht nur staatlichen Bauten) müssen diese Aspekte in die Planungen mit einfließen und die Forschung über die Langzeitfolgen der unbedingt notwendigen Gebäudeisolierung sollte dringend verstärkt werden.

Wir erleben nicht nur am Oberrhein und in Freiburg, wie das Land mit einer teuren Infrastruktur, mit Beton und Asphalt überzogen wird, wie der Flächenverbrauch anhält und Natur verschwindet, während gleichzeitig Städte, Land und Bund nicht in der Lage sind, die bestehende Infrastruktur zu unterhalten.

Wenn Stadt, Staat und Bahn kein Geld, sondern einen Schuldenberg haben, dann muss erst einmal (wenn möglich) die vorhandene Infrastruktur unterhalten und nicht Unnötiges neu gebaut werden. Neue Gebäude sollten funktional, schön, energiesparend, ressourcenschonend und dauerhaft-langlebig gebaut werden. Über das “Schön” darf dann gerne öffentlich gestritten werden, über das “Funktional, Langlebig, Energiesparend und Dauerhaft” nicht.

Axel Mayer

Nachtrag:
Wir wissen, dass die damaligen Politiker und Bürgermeister nicht mehr an der Macht, aber immer noch mächtig sind, dass Architekten und schönschreibende Journalisten von damals noch leben. Dennoch wollen wir die Debatte heute führen und nicht noch einmal 30 Jahre warten.