1973-2023: 50 Jahre keine Brennelementefabrik / Plutoniumfabrik BBR in Heitersheim


Veröffentlicht am 05.02.2023 von Axel Mayer

1973 - 2023: 50 Jahre keine Brennelementefabrik / Plutoniumfabrik BBR in Heitersheim


Wir schreiben das Jahr 2023. Die letzten deutschen AKW werden (hoffentlich) abgestellt und die Brennelementefabrik in Lingen steht ohne russisches Uran vor dem Aus.

Wenn heute an Atomprotest am Oberrhein erinnert wird, dann gilt dieses Erinnern zumeist dem erfolgreichen Fessenheim-Protest oder den durch Bauplatzbesetzungen verhinderten AKW in Wyhl und Kaiseraugst(CH). Die erfolgreichen Proteste gegen das französische AKW in Gerstheim bei Strasbourg und gegen das geplante Hochrhein-AKW in Schwörstadt werden meist vergessen. Auch in Breisach am Kaiserstuhl war 1971 der Bau eines der größten AKW-Standorte der Welt (mehrere Reaktorböcke mit insgesamt 4000 MW!) geplant.

Häufig ganz vergessen wird der erfolgreiche Protest gegen die Brennelementefabrik BBR in Heitersheim, der im Jahr 1973 seinen Anfang nahm.




Bis 1973 profitierte die Wirtschaft in Heitersheim von Schacht III des Kalibergwerks Buggingen mit vielen Arbeitsplätzen. Als 1973 die Kalibergwerke in Heitersheim und Buggingen ihren Betrieb einstellten (und vor der Schließung, passend zum Zeitgeist, noch unsachgemäß Giftmüll eingelagert wurde), gingen über tausend Arbeitsplätze verloren. Es sollte dann dort eine Brennelementefabrik angesiedelt werden. Versprochen wurde zuerst, dass 2000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Es zeigte sich allerdings, dass lediglich 150- bis 200 neue Arbeitsplätze in die Region gekommen wären.
Im Herbst 1973 begannen nicht öffentliche, geheime Verhandlungen zur Ansiedlung einer Plutoniumfabrik. Im Herbst 1974 wurden diese Gespräche durch Whistleblower öffentlich. Es wurde öffentlich bekannt, dass beim gerade erst stillgelegten'Schacht 3' der Kalisalz-Grube Buggingen eine Brennelementefabrik geplant war, die nicht nur Uran sondern evtl. auch Plutonium verarbeiten sollte. Es bestand die Gefahr, dass für die Brennelemente auch hochgiftiges Plutonium verwendet worden wäre.

Der giftigste Stoff der Welt
„Plutonium – sinnigerweise benannt nach Pluto, dem griechischen Gott des Totenreiches – ist der giftigste Stoff, den es gibt. Seine kurz reichende Alpha-Strahlung reißt gewissermaßen tiefe Schneisen in jedes lebende Gewebe und zerstört es. Dabei kann es nur schwer oder gar nicht ausgeschieden werden. Es setzt sich fest, reichert sich sogar an, die Strahlung ist bei einer Halbwertszeit von 24000 Jahren faktisch dauerhaft vorhanden. Bereits wenige Millionstel Gramm (Mikrogramm) können sofort, sogar nur etliche Milliardstel Gramm (Nanogramm) langfristig tödlich wirken …“ Zitat Frankfurter Rundschau


Schon vor dem Bekanntwerden dieser Pläne gab es wenige Kilometer von Heitersheim entfernt in Fessenheim und Breisach massive Proteste gegen geplante Atomanlagen. So kam es am nahen Kaiserstuhl im September 1972 zur ersten großen Kaiserstühler Treckerdemo mit 560 landwirtschaftlichen Fahrzeugen.

Die BBR-Nein-Gruppe in Heitersheim / Baden war ab 1973 aktiv, um die geplante Plutoniumfabrik, welche für das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich Plutonium-Brennelemente produzieren sollte, zu verhindern. Der BBR-Nein-Gruppe gelang es im Zusammenspiel mit einer erwachenden Umweltbewegung am Oberrhein, eine große Mehrheit gegen die Ansiedlung der Fabrik zu organisieren. Sie veröffentlichte u.a. die Broschüre „Die BBR in Heitersheim“. Vom AK Umweltschutz der Uni Freiburg erschien 1975 die Broschüre „Kein Plutonium nach Heitersheim“. Die Stimmung in der Bevölkerung wendete sich ab 1975 gegen die planende Betreiber-Firma. Während einer Bürgerversammlung wurden von der Gruppe 'BBR Nein' zwei Korruptionsfälle aufgedeckt. Die frisch gegründete AGUS (Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Markgräflerland) half der örtlichen BI politisch und juristisch.

Der damals 20jährige Aktivist Karlheinz Grieger aus Buggingen erinnert sich:
"Wie hartnäckig die Babcock-Brown Boveri – Reaktor GmbH den Bau einer Brennelementefabrik in Heitersheim vorantrieb zeigt auch diese Begebenheit: Gegner_innen des Atomprojektes aus Heitersheim und Umgebung hatten sich in einer „BBR-Nein- Gruppe“ organisiert. Die BBR drohte mit einer Summe von mehreren Hundertausend DM, falls die Gruppe weiter den Namen „BBR-Nein“ im Widerstand gegen das Atom-Projekt in Heitersheim verwende. Dieses Verhalten spiegelte sich auch in Geheimverhandlungen mit dem Gemeinderat, den (Falsch-) Aussagen zu den zu erwartenden Arbeitsplätzen (zuerst 2000, dann später korrigiert auf 200) oder eben zur geplanten Plutoniumverarbeitung. In der Region hatte gerade der größte Arbeitergeber das Bergwerk der Kali und Salz AG in Buggingen und Heitersheim geschlossen. Neue Gewerbesteuereinnahmen und Arbeitsplätze waren willkommen. Also eine Interessenslage, wie sie im Dreyeckland bei vielen Atomprojekten bestand. Die Gegner_innen der „Plutonium-Fabrik“ in Heitersheim waren im Anti-AKW-Widerstand vernetzt und konnten so „atomare Lieferketten“ beschreiben, Umwelt-Risiken aufzeigen (z.B. Plutonium) und immer wieder neue fragwürdige Sachverhalte ( auch auf mehreren Großveranstatungen der BBR-Gegner_innen) öffentlich machen. Nach über drei Jahren Widerstand war das Ziel erreicht. Die Brennelementefabrik in Heitersheim wurde nicht gebaut. Das Atomprojekt hatte in der Bevölkerung ( Unterschriftensammlungen + Gemeinderatsbeschlüsse auch aus der Umgebung) keine ausreichende Aktzeptanz erreicht und konnte schon in der Vorbereitungs- und Planungsphase gestoppt werden."




Die Brennelementefabrik in Heitersheim war letztendlich politisch nicht durchsetzbar, auch weil sich immer mehr Winzergenossenschaften dem Protest anschlossen.
Diese frühen, verzweifelt-hoffnungsfrohen ökologischen Konflikte am Oberrhein (Heitersheim (D), Marckolsheim (F), Wyhl (D), Kaiseraugst (CH), Gerstheim (F)...) brachen erstmals mit der vorherrschenden Nachkriegslogik der Gier, des Wachstumszwangs und der Zerstörung. Sie waren erste Zeichen der Hoffnung mit Fernwirkung und haben die globalen Zerstörungsprozesse entschleunigt. Mit der Schließung der letzten drei deutschen AKW endet im Jahr 2023 eine Phase, die vor einem halben Jahrhundert auch in Heitersheim begonnen wurde.

Doch die Macht der weltweiten Atomlobby zeigt sich immer noch. In den perfekten aktuellen Desinformationskampagnen zum Atomausstieg und wenn alle Energieimporte aus Russland nach Europa boykottiert werden, nicht aber der Import von russischem Uran nach Europa und wenn dies (fast) kein Medienthema ist.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein
(Der Autor ist seit einem halben Jahrhundert in der Umweltbewegung aktiv und war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer in Freiburg)

Zusatzinfos:






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2023 Lützerath - 1974-1975 Wyhl und Marckolsheim / Für Leben und Zukunft


Lützerath / Trotz alledem


Aufhalten konnten wir die Räumung nicht. Die atomar-fossilen Seilschaften und die Atom- und Klimakatastrophen-Verantwortlichen haben sich und uns in Lützerath wieder ein kleines Stück zu Tode gesiegt. Und dennoch war der gewaltfreie Kampf sinnvoll und notwendig. Er ist Sand im Getriebe der Weltzerstörung. Und ein Sandkorn kann ähnlich wie der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Sturm entfachen.
Axel Mayer



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Axel Mayer Mitwelt Stiftung Oberrhein
Mit Zorn und Zärtlichkeit auf Seiten von Mensch, Natur, Umwelt & Gerechtigkeit.


Getragen von der kleinen Hoffnung auf das vor uns liegende Zeitalter der Aufklärung (das nicht kommen wird wie die Morgenröte nach durchschlafner Nacht)



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