1972 Die Wutach im Schwarzwald & die Papierfabrik Neustadt / Frühe Kämpfe für saubere Bäche und Flüße


Veröffentlicht am 01.01.2023 in der Kategorie Wasser von Axel Mayer

Die Wutach im Schwarzwald & die Papierfabrik Neustadt: Erfolgreiche, frühe Kämpfe für saubere Bäche und Flüße und für eine bessere Wasserqualität



Sie finden auf dieser Seite oben eine kurze Zusammenfassung und unten einen umfangreicheren Hintergrundttext:


Kurztext
Erfolge! 1972 an der Wutach - Der Kampf um sauberes Wasser beginnt


Die Wutach, der kleine, schöne Fluss im Schwarzwald war einmal berühmt für seine Wasserqualität und eines der besten Forellengewässer Europas. Der exklusive Londoner „Bad Boll Fishing Club“ hatte auf einer Länge von 80 Kilometern die Angelrechte an der Wutach gepachtet und Bad Boll war damals ein kleines Schwarzwald-Bad am Rande der Wutach-Schlucht. Doch die ungeklärten Abwässer der Papierfabrik in Neustadt führten ab 1905 zu einem raschen Rückgang des Fischbestandes.
Vor 50 Jahren, im Jahr 1972 geschah in der kleinen, konservativen Schwarzwaldstadt Donaueschingen „Ungeheuerliches“. Die Umweltschützer und Paddler Roland Görger und Konrad Jäger, beide aktiv in der Freiburger Aktion Umweltschutz, dem späteren BUND, demonstrierten bei den Donaueschinger Musiktagen. Sie verteilten 1000 Infoblätter und verlangten die Abwasserklärung der fürstlichen Papierfabrik in Neustadt und die Beendigung der massiven Wasserverschmutzung der Wutach. Nach dem Krieg mussten die beiden Kajak-Fahrer die Plastifizierung der Ufer, die hemmungslose Gewässerverschmutzung und die immer schnellere Zerstörung der Bäche und Flüsse erleben und erleiden. Beide standen für eine neue, politischere Generation im Natur- und Umweltschutz, die sich auch mit Autoritäten anlegte. Der Zustand der Umwelt in Deutschland war 1972 teilweise entsetzlich und viele Bäche und Flüsse stinkende Kloaken. Es war eine Zeit, in der in Deutschland Kinder durch Luftverschmutzung krank wurden, Asbest-Gefahren wurden verharmlost und der Schweizer Atommüll noch im Meer versenkt. Es war die Zeit einer erwachenden Umweltbewegung, in der aus „Nur-Naturschutzverbänden“ politisch engagierte "Umwelt- und Naturschutzorganisationen wurden. Ein »Fenster der Möglichkeiten« öffnete sich am Oberrhein und wenige Jahre später kam es zu den großen, spektakulären Protestaktionen und Bauplatzbesetzungen gegen ein Bleiwerk in Marckolsheim (F) und gegen die AKW Wyhl, Kaiseraugst (CH) und Gerstheim (F).
Heute wäre so eine Aktion keine besondere Nachricht, damals war sie sehr ungewöhnlich. Sponsor der Donaueschinger Musiktage war der Fürst zu Fürstenberg, der auch Besitzer der Papierfabrik Neustadt war. Protest gegen "den Fürst" war damals in Donaueschingen noch ein Sakrileg. Nach langem Streit und wirtschaftlichen Verwerfungen wurde endlich eine Kläranlage eingebaut. Ein erster Erfolg für den Wasserschutz und den Schutz unserer Bäche und Flüsse, an dem eine damals noch junge Umweltbewegung ihren Anteil hat. Wenn heute in Bächen und Flüssen wieder gebadet werden kann, wenn die Lachse langsam zurückkehren, dann sollten wir daran erinnern, dass diese Erfolge nicht vom Himmel gefallen sind, sondern teilweise hart erkämpft werden mussten.
Die frühen Kämpfe waren schwierig und mühsam und dennoch einfach, denn die Vergiftungen und Belastungen waren zumeist sichtbar, messbar und erkennbar. Die erfreulichen heutigen Kämpfe gegen Klimawandel, Artenausrottung, Atommüllproduktion und die Folgen unbegrenzten Wachstums sind schwieriger. Dennoch können wir aus den frühen Erfolgen Hoffnung und Kraft schöpfen.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein, (Alt-)BUND-Geschäftsführer

Nachtrag:
„Die Umweltbewegung wird für das gelobt, was sie in der Vergangenheit getan und erreicht hat und sie wird heftig dafür kritisiert, was sie aktuell fordert und durchsetzen will“


Langtext: Die Wutach im Schwarzwald & die Papierfabrik Neustadt: Erfolgreiche, frühe Kämpfe für eine bessere Wasserqualität


Im Jahr 1972 geschieht in der kleinen, konservativen Schwarzwaldstadt Donaueschingen Ungeheuerliches. Aktive der Freiburger Aktion Umweltschutz demonstrieren, verteilen Infoblätter und verlangen die Abwasserklärung der fürstlichen Papierfabrik in Neustadt und die Beendigung der massiven Wasserverschmutzung der Wutach. Nach langem Streit und wirtschaftlichen Verwerfungen wird endlich eine Kläranlage eingebaut. Ein erster Erfolg für den Wasserschutz und den Schutz unserer Bäche und Flüsse, an dem eine damals noch junge Umweltbewegung ihren Anteil hat. Wenn heute in Bächen und Flüssen wieder gebadet werden kann, wenn die Lachse langsam zurückkehren, dann sollten wir daran erinnern, dass diese Erfolge nicht vom Himmel gefallen sind, sondern teilweise hart erkämpft werden mussten.

Die Wutach entspringt im Südschwarzwald,
wenige Meter unterhalb des Seebuck am Feldberg. Kurz danach stürzt sie in das felsige Kar des kreisrunden, malerisch gelegenen Feldsees. Ab Titisee heißt der kleine Wiesenbach Gutach „gute Ach“. Nach Neustadt strömt der durch viele Zuflüsse angewachsene Fluss durch eine tiefe, beeindruckende Schlucht. Nach der Mündung des kleinen Baches Haslach wird aus der Gutach erneut die Wutach, die „wütende Ach“. Hier beginnt die obere Wutachschlucht, der kleine-große Canyon des Schwarzwalds, ein berühmtes und bisweilen sehr überlaufenes Naturschutz- und Wandergebiet. Zwischen Küssaberg-Kadelburg und Koblenz mündet die Wutach nach 91 Kilometern in den Hochrhein.

"Die Woche": Moderne illustrierte Zeitschrift -August Scherl Verlag, Berlin Ausgabe Heft- Nr: 28, 15.07.1911


Die Wasserqualität der Wutach war bis zur Jahrhundertwende 1900 sehr gut.
1894 kaufte eine reiche Gruppe britischer Angler das Hotel in Bad Boll. Grund dafür war der enorme Forellenbestand in der Wutach. Der exklusive „Bad Boll Fishing Club“ pachtete auf einer Länge von 80 Kilometern die Angelrechte an der Wutach.
Bad Boll war damals ein kleines Schwarzwald-Bad am Rande der Wutach-Schlucht. Heute erinnern nur noch die alte Badkapelle und die noch immer sprudelnde Quelle an das einstige Bad. Seine größte Blüte erreichte das heute verfallene Bad in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es gab die Mineralwasser führende Badquelle, die landschaftliche Schönheit des Tales und der Fischreichtum der Wutach. Auch der Lachs wanderte einst zur Laichzeit über den Rhein die Wutach hinauf. Für längere Zeit galt die Wutach als das beste Forellengewässer Europas. Die Gasthöfe und Hotels entlang der Wutach verdankten ihre Existenz den schweizerischen, aber vor allem den englischen Fischgästen. Allein der exklusive englische Fishing Club betrieb damals ein Hotel mit 12.000 Übernachtungen pro Jahr.
(Wir neigen heute dazu den exklusiven „Bad Boll Fishing Club“ und seine reichen Mitglieder zu idealisieren. Doch der Reichtum der englischen Oberschicht beruhte zumeist auf der brutalen Ausbeutung verarmter englischer Arbeiter und auf Verbrechen in den damaligen Kolonien des Commonwealth.)


Wutach, Fischerei, Forellen & der Bad Boll Fishing Club



Die ungeklärten Abwässer der Zellstoff- und Papierfabrik in Neustadt und die damit verbundene Wasserverschmutzung führten ab 1905 erst langsam und dann immer schneller zu einem raschen Rückgang des Fischbestandes. Durch die sinkenden Erträge der Wutachfischerei blieben nach und nach die zahlenden Angler und Touristen aus. Damit wurde der Niedergang von Bad Boll eingeläutet. 1912 zog sich der Fishing Club Limited wieder aus Bad Boll zurück.

Zur massiven Grundverschmutzung der Wutach durch fehlende oder unzureichende Kläranlagen kamen auch immer wieder extreme Wasserverschmutzungen durch Störfälle. Das wohl verheerendste Fischsterben im November 1982 wurde durch auslaufendes Kunstharz in der Papierfabrik Neustadt verursacht. Die durch diese Katastrophe hervorgerufenen Verluste wurden auf über 95% des Fischbestandes geschätzt. Das letzte große Fischsterben im Juli 1993 hatte seine Ursache im Austreten von Cyanidverbindungen aus einer Galvanikanlage.


Die geplante Wutachtalsperre war ein 1943 genehmigtes und 1960 wieder verworfenes Projekt zum Bau einer Talsperre in der Wutachschlucht im Schwarzwald.
Quelle: Wikipedia


Der damals konservativ-bürgerliche Schwarzwaldverein hatte schon früh die Unterschutzstellung der Wutachschlucht gefordert,
allerdings zumeist mit Natur- und Landschaftsschutzargumenten. Gegen den Widerstand der damaligen Forstbehörden beschloss der Badische Landtag 1928 einstimmig, die Landesregierung zu beauftragen, ein Naturschutzgebiet Wutach-Gauchachtal zu schaffen. Es war ein früher "Ausgleich" für die durch den Bau des Schluchseewerkes zerstörten Naturlandschaften. Am 26. Juli 1939 erfolgte endlich die Unterschutzstellung. Seit der letzten Erweiterung am 16. März 1989 umfasst das Naturschutzgebiet Wutachschlucht 950 Hektar. Trotz Naturschutz wollte Anfang der 1950er Jahre die Schluchseewerk AG die Wutach mit einer 62 Meter hohen Mauer aufstauen. Proteste von Naturschützern, hier ist insbesondere Fritz Hockenjos zu nennen, und 185 000 Unterschriften aus der Bevölkerung verhinderten das Wahnsinnsprojekt.

Im Jahr 1972, also vor 50 Jahren, begann der öffentliche Protest gegen die industrielle Wutachverschmutzung im Schwarzwald.
Der Zustand der Umwelt in Deutschland war 1972 teilweise entsetzlich und viele Bäche und Flüsse stinkende Kloaken. Es war eine Zeit, in der in Deutschland Kinder durch Luftverschmutzung krank wurden, Asbest-Gefahren wurden verharmlost und der Schweizer Atommüll noch im Meer versenkt. Es war allerdings auch die Zeit einer erwachenden Umweltbewegung, in der aus „Nur-Naturschutzverbänden“ politisch engagierte "Umwelt- und Naturschutzorganisationen wurden, wie die 1970 gegründete "Aktion Umweltschutz“, aus der sich später der BUND-Regionalverband Südlicher Oberrhein entwickelte.

Aktive der Freiburger Aktion Umweltschutz demonstrierten
und verteilten 1972 bei den Donaueschinger Musiktagen 1000 kritische Infoblätter. Heute wäre so eine Aktion keine außergewöhnliche Nachricht, damals war sie sehr ungewöhnlich. Sponsor der Donaueschinger Musiktage war der Fürst zu Fürstenberg, der auch Besitzer der Papierfabrik Neustadt war. Protest gegen "den Fürst" war damals in Donaueschingen noch ein Sakrileg. Die Umweltschützer verlangten die Abwasserreinigung der Papierfabrik in Neustadt und die Beendigung der massiven Wasserverschmutzung der Wutach.

Zwei der damals Aktiven und Flugblattverteiler
waren die Umweltschützer und Paddler Roland Görger und Konrad Jäger, die später auch beim Atomprotest in Breisach und Wyhl dabei waren. Sie kannten und liebten die Wildbäche des Schwarzwaldes und Europas und hatten auch das Buch des weitsichtigen Faltbootpioniers Herbert Rittlinger gelesen. Der Reiseschriftsteller hatte im Buch "Das baldverlorene Paradies" die verloren gehenden Flußlandschaften vorausgesehen. Die damals Aktiven hatten gegenüber den heute jungen Natur- und Umweltschützern noch ein Privileg. Sie kannten noch Natur und Wildnis aus eigener Anschauung. In den vergangenen 50 Jahren sind als Folgen exponentiellen Wachstums das Bruttosozialprodukt, die Gütermenge und die Unzufriedenheit explodiert, während sich die Artenausrottung und das Verschwinden der Restnatur in kleiner werdende Reservate und reglementierte "Rühr mich nicht an Naturschutzgebiete" beschleunigt hat.

Überraschender Besuch des Firmenchefs bei der öffentlichen Monatssitzung der Aktion Umweltschutz im Jahr 1972
"Über den persönlichen Besuch des Firmenchefs der Neustädter Papierfabrik waren wir sehr überrascht. Er wünschte besonders, dass unser aus seiner Sicht polemische Vorschlag nicht weiter in die Öffentlichkeit getragen werden soll: Der Fürst zu Fürstemberg könne doch durch den Verkauf seines Alouette-Hubschraubers den notwendigen Bau der Kläranlage seiner Papierfabrik finanzieren! Die Demonstration von zwei beamteten Lehrern in Donaueschingen war damals durchaus gefährlich für die Beschäftigung im öffentlichen Dienst!"
Erhard Schulz, damaliger Pressesprecher der Aktion Umweltschutz / Einer der Gründungsväter des BUND / Zitat vom 16.1.2023


Nach dem Krieg mussten die beiden Kajak-Fahrer die Plastifizierung der Ufer, die hemmungslose Gewässerverschmutzung und die immer schnellere Zerstörung der Bäche und Flüsse erleben und erleiden. Beide standen für eine neue, politischere Generation im Natur- und Umweltschutz, die sich auch mit Autoritäten anlegte. Hier zeigten sich auch die ersten Bruchstellen mit der alten "Nur-Naturschutzbewegung".

Konrad Jäger berichtet, dass die damals sehr ungewöhnliche Flugblattverteilung bei den Donaueschinger Musiktagen neben Zustimmung teilweise auch viel Ärger und böse Reaktionen, gerade auch von Gewerkschaften, auslöste. Am 16.2.2022 erinnert er sich in einem Brief: "Donaueschinger Musiktage: Wir stehen mit unseren Flugblättern auf dem Platz vor der Halle in der das Eröffnungskonzert stattfinden soll. Der Fürstenberg kommt zusammen mit Pierre Boulez auf uns zu. (Pierre Boulez war damals schon weltberühmt als Dirigent, Leiter der Donaueschinger Musiktage und Chefdirigent des BBC Symphony Orchestra in London). Und dann gehen diese paar Männer auf die Beiden zu und überreichen ein Flugblatt, auf dem geschrieben steht, dass der Sponsor der Musiktage der größte Umweltverschmutzer des Landes ist, dass das Geld für die Durchführung der Musiktage auch aus der verantwortungslosen Zerstörung des Lebens in der Wutach stammt. Der Fürstenberger versteinert, Boulez nimmt das Flugblatt freundlich an."

"Wie in Frankfurt gibt es auch in Donaueschingen Protest – vor den Türen, auf Flugblättern sorgfältig formuliert und mit vorsichtigem Zögern unter die Leute gebracht. Diesmal kam die Empörung von der "Aktion Umweltschutz e. V. Arbeitskreis Landschaft" und richtete sich dagegen, dass "bei Neustadt die Papierfabrik – Besitzer Fürst zu Fürstenberg – nach wie vor die nahezu ungeklärten Abwässer der Fabrik in den Fluss (Gutach) leitet und ihn dadurch zur stinkenden und toten Kloake macht." schrieb "Die Zeit" in ihrer Ausgabe vom 27. Oktober 1972 in einem Bericht über die Donaueschinger Musiktage.


Nach langem Streit, Aktionen, Eigentümerwechseln, wirtschaftlichen Verwerfungen
und einem Konkurs wurde endlich eine Kläranlage eingebaut, ein erster Erfolg einer damals noch jungen Umweltbewegung in Sachen Wasserreinhaltung. Die alte Papierfabrik war wirtschaftlich nicht erfolgreich und ging 1989 in Konkurs. Durch die Übernahme der Felix Schoeller Group konnten das Unternehmen und die Arbeitsplätze gerettet werden. 105 Millionen Euro hat das Unternehmen seither in Titisee-Neustadt auch in die Wasserreinhaltung, investiert und produziert Papier-Spezialitäten. Umweltschutz und wirtschaftlicher Erfolg schließen sich nicht aus. Auch die von den Umweltaktiven ebenfalls kritisierte Stadt Titisee-Neustadt verbesserte nach und nach die Qualität ihrer städtischen Kläranlage.

Die Erfolge in Sachen Wasserqualität, nicht nur in der Wutach, sind beachtlich. Es ist ärgerlich, zeigt aber auch alte Machtstrukturen, dass dieser frühe Umweltkonflikt und der Protest für die Reinhaltung der Wutach in den vielen Publikationen über dieses Gewässer nie einen Niederschlag gefunden haben. Wenn heute Wutach, Rhein und andere Gewässer wieder sauberer sind, wenn in Bächen und Flüssen gebadet werden kann, wenn Forellen zurück sind und erste Lachse im Rhein aufsteigen, dann wurden solche Erfolge immer auch erkämpft. In Südbaden steht die Aktion 1972 in Donaueschingen für den Beginn des offenen Protestes für Kläranlagen. Ein neueres Beispiel für diesen Streit war der Konflikt um die letzte Papierfabrik der Region ohne Kläranlage im Jahr 1996(!), der Usine Kaysersberg gegenüber von Breisach.
Mit den frühen, ersten Protesten vor 50 Jahren in Donaueschingen gegen die Wasserverschmutzung, mit dem Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, ebenfalls im Jahr 1972, begannen erfolgreiche Veränderungen, die heute im globalen Maßstab, im Zeitalter des Anthropozän, einer Zeit des Überkonsums, der Artenausrottung, der Plastikvermüllung der Meere und der Klimakatastrophe immer noch ganz am Anfang stehen. Die heute noch lebenden Aktiven von damals freuen sich über das heutige junge Engagement von Fridays for Future. Die Umweltbewegung wird immer für das gelobt, was sie in der Vergangenheit getan und erreicht hat und sie wird dafür kritisiert, was sie aktuell fordert und durchsetzen will.



Wutach-Protest: Erfolg oder Niederlage?


Mit den Kämpfen für eine saubere Wutach in Neustadt und für einen reinen Rhein in Kunheim, mit den erfolgreichen AKW-Bauplatzbesetzungen in Wyhl, Kaiseraugst und Gerstheim und der Verhinderung des extrem luftverschmutzenden Bleiwerks in Marckolsheim und mit Demos und Aktionen gegen das Waldsterben 1.0 begann auch am Oberrhein der Niedergang der "guten, alten, offenen, sichtbaren Umweltverschmutzung". Luft- und Wasserreinigungsanlagen wurden gebaut, Kraftwerke entstickt und entschwefelt, Autos bekamen Katalysatoren, DDT und Asbest wurden verboten und die zukunftsfähigen Energien begannen ihren langsamen Aufschwung. Also eine Erfolgsgeschichte!?

Es stellt sich die Fragen, warum sich seit diesen frühen Kämpfen die regionale und globale Artenausrottung und der Klimawandel beschleunigt haben, warum die Meere vermüllen und die diffusen Belastungen zunehmen? Das hat schlicht mit der oben stehenden Grafik, mit der Explosion des deutschen und des globalen Bruttoinlandsproduktes zu tun. 1972, zur Zeit des Protestes gegen die Wasserverschmutzung der Wutach, lag das deutsche Bruttoinlandsprodukt bei 436 Mrd. Euro. Im Jahr 2021 hat es schon 3564 Mrd. Euro erreicht. Die Produktionsprozesse wurden sauberer und die schmutzigen Fabriken ins Ausland verlagert. Das scheinbar unbegrenzte Wachstum im begrenzten System Deutschland brachte mehr Konsum, Handys, Plastik, Müll, Autos, PS, Strassen, SUVs, Rüstung, Flüge, Wohnraum, Agrargifte wie Neonicotinoide, Agrarfabriken, Urlaubsfabriken, Flächenverbrauch, Straßenbau, gigantische Bildschirme, Regenwaldvernichtung für deutschen Konsum, energiefressende Bitcoins und mehr soziale Ungleichheit... Die frühen Erfolge gegen die "gute, alten, offene, sichtbare Umweltverschmutzung" werden schlicht vom unbegrenzten Wuchern des Kleinen aufgefressen und dieses Wachstum bringt der Mehrzahl der Menschen nicht einmal mehr Glück und Zufriedenheit.


Die letzte Papierfabrik ohne Kläranlage am Oberrhein. Die Papierfabrik Kaysersberg in Kunheim im Jahr 1996.

Die frühen Kämpfe waren schwierig und mühsam und dennoch einfach, denn die Vergiftungen und Belastungen war zumeist sichtbar, messbar und erkennbar. Heutige Kämpfe gegen das unbegrenzte Wachstum, gegen das explosionsartige Wuchern des Kleinen und gegen die weltweite Verbreitung des zutiefst zerstörerischen "American Way of Live" sind schwieriger. Dennoch können wir aus den frühen Erfolgen Hoffnung und Kraft schöpfen. Unsere Aufgaben und Herausforderungen sind mit dem BIP gewachsen!

Axel Mayer, (Alt-) BUND-Geschäftsführer, Mitwelt Stiftung Oberrhein




Die Wutach und die fehlenden Kläranlagen der fürstlichen Papierfabrik Neustadt und der Gemeinde Titisee-Neustadt.
Ein Aufkleber der Aktion Umweltschutz aus dem Jahr 1972.


Nachträge und Ergänzungen




Wassermangel und Trockenheit in der Wutach gibt es immer häufiger. Immer öfter fallen südbadische Bäche und Flüsse im Hochsommer auf Teilstrecken trocken und der Grundwasserspiegel sinkt.
Was tun?
  • An erster Stelle steht selbstverständlich die Bekämpfung des Klimawandels, dessen Hauptursache das unbegrenzte Wachstum im begrenzten System Erde ist
  • Wassersparen in allen Bereichen (private Haushalte, Industrie, Landwirtschaft) und nicht nur putzige Alibimaßnahmen
  • Sanierung desGrundwassers und Verbesserung der Grundwasserqualität durch Vermeidung des Schadstoffeintrages (ein schlechtes Beispiel ist derBugginger Salzberg)
  • Schwammstadtkonzepte auch in Südbaden
  • Vermeidung weiterer Zersiedelung und Überbauung und Entsiegelung von bestehenden Asphalt- und Beton-Flächen, wo immer dies möglich ist
  • Verstärkte Regenwasser- und Brauchwassernutzung
  • Wo immer möglich, in trocken fallenden Gewässern "tiefe Gumpen" mit Grundwasseranschluss einbauen, um Fischen eine Überlebensmöglichkeit zu schaffen
  • Renaturierung aller unserer Bäche und Flüsse
  • Angesichts trocken fallender Bäche und der damit verbundenen Vernichtung von Flora und Fauna könnte langfristig eine möglichst naturnahe Wasserrückhaltung für unsere Bäche im Hochschwarzwald nötig sein, um Natur, Mensch, Fischen, Wasserkraftbetreibern und Landwirtschaft zumindest mit einer Mindestwassermenge in Extremsommern dienen zu können.
  • Flächendeckende Vernässungsmaßnahmen wie in der Teninger Allmend. Dort gibt es seit den 1970er-Jahren ein Grabenbewässerungssystem, ergänzt durch periodische künstliche Überflutungen wechselnder Waldbereiche. Es wurden neun km Erdgräben neu angelegt und sechs km alte ehemalige Entwässerungsgräben reaktiviert. Im Zentrum des Gebietes entstanden Sickerteiche. Bis zu 400 Litern Wasser pro Sekunde wurde bei entsprechend hohen Wasserständen aus der Elz entnommen. Durch das Schließen von Stellfallen konnten künstliche, flächige Überflutungen ganzer Waldgebiete initiiert werden. Wissenschaftliche Untersuchungen zu dieser Maßnahme zeigen, dass die Grundwasserstände bis 1975 deutlich anstiegen, dass ab 1983 jedoch eine Umkehr dieses positiven Trends einsetzte. Ursache war die Verschlammung der Gräben und Teiche. Diese alte Idee sollte (wo immer noch möglich) aufgegriffen werden und die Versickerungs-Bäche und Teiche sollten in großen Abständen entschlammt werden.



Was der Mensch den Gewässern, dem Rhein, der Wutach und den anderen Zuflüssen angetan hat,
lässt sich am besten am Beispiel des Lachses aufzeigen. Der Lachs kam früher im Rhein zwischen Basel und Rheinfall sehr häufig vor, er war ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor und die großen Fische zogen zu ihren angestammten Laichgebieten im Hochrhein oder in den Zuflüssen.
Heute berichten die Zeitungen umfangreich, wenn es wieder einmal ein einzelner Lachs in einen der Rheinzuflüsse geschafft hat. Nach über fünfzig Jahren ist im Jahr 2005 erstmals wieder Lachslaich in der Kinzig und damit im baden-württembergischen Rheingebiet entdeckt worden. Dazu kamen nach und nach einzelne Funde in der Murg und der Elz. In den fünfziger Jahren starb der Rhein-Lachs vollständig aus, die ursprüngliche Population war weg und wurde durch aufwändige Nachzuchten aus Loire und Allier ersetzt. Wir reden und lesen dann gerne von "ausgestorben" oder "verschwunden". Das klingt so schön nach "still von uns gegangen" und benennt nicht unsere Verantwortung. Doch das einzig treffende Wort für dieses Verschwinden ist der Begriff "ausgerottet". Die regionale und globale Artenausrottung ist kein Phänomen der letzten 20 Jahre, sie hat sich aktuell nur global etwas beschleunigt. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen zur Artenvielfalt werden als Kollateralschaden unbegrenzten globalen Wachstums gerade bis zu 130 Tier- und Pflanzenarten täglich ausgerottet.
Mit Wasserverschmutzung, Begradigung, Kanalisierung, Stauwehren und Schleusen hat der Mensch schon in den letzten 150 Jahren den ehemaligen Lachs-Bestand im Rhein auf null reduziert. Jeder einzelne Lachs, der es heute wieder in das Flussgebiet am Oberrhein schafft, ist auch ein Erfolg der Umweltbewegung und der Fischereiverbände.


Papierfabrik ohne Kläranlage am Rhein bei Kunheim (F)

Noch vor hundert Jahren war der Rhein der bedeutendste Lachsfluss Europas. Jahr um Jahr kehrten etwa eine Million(!) Lachse von ihrer langen Reise nach Grönland zurück in die Rheinzuflüsse im Schwarzwald, im Elsass und in die Schweizer Alpen. Um 1900 wurden allein aus dem Rhein jährlich ca. 85.000 Tonnen Lachs gefischt. "Aus dem Jahr 1640 ist am Hochrhein der Fang von 950 Lachsen in einer Saison mit nur einer einzigen Lachswaage (Fischereigerät) aufgezeichnet. 1764 fing ein Fischer aus Luzern 110 Lachse an nur einem Tag. Ende des 19. Jahrhunderts wurden im südbadischen Rheingebiet jährlich etwa 30.000 Kilogramm des wertvollen Fischs gefangen." wurde auf dem Lachs- Symposium 2009 berichtet. Wir können uns auch nicht ansatzweise vorstellen, was wir an Arten, Natur und Vielfalt verloren haben und was wir an anderer Stelle weltweit gerade verlieren. Der Mensch im Anthropozän hat auf die Artenvielfalt eine ähnlich verheerende Wirkung wie der große Meteor-Einschlag vor 65 Millionen Jahren. Und doch gibt es in kleinen Teilbereichen auch Erfolgsgeschichten, wie zum Beispiel der erfolgreiche Protest gegen die Verschmutzung der Wutach.

Es gab und gibt positive und negative Entwicklungen für den Rhein-Lachs:
Der Rhein, die Wutach und die anderen Zuflüsse wurden für Fische wieder durchlässiger und die Wasserqualität hat sich verbessert. In den letzten Jahrzehnten wanderten wieder jedes Jahr hunderte Lachse aus dem Atlantik ins Rheineinzugsgebiet, um hier in der kalten Jahreszeit zu laichen. Doch seit einigen Jahren steigt die Zahl nicht mehr. Sie scheint eher wieder zu sinken. Der Klimawandel, die Wassererwärmung, Niedrigwasser im Rhein und seinen Zuflüssen, das sommerliche Trockenfallen von Laichgewässern, Schiffsschrauben, Fressfeinde wie der Wels, Krankheiten und Parasiten – all dies spielt wohl eine Rolle. Genaue Erkenntnisse über die Ursachen des erneuten Rückgangs gibt es noch nicht. Doch könnte angesichts trocken fallender Bäche langfristig eine teilweise Wasserrückhaltung für unsere Bäche nötig sein, um Natur, Mensch, Lachs, anderen Fischen zumindest mit einer Mindestwassermenge in Extremsommern dienen zu können. Auch eine weitere Verringerung von Mikroverunreinigungen mit Pflanzenschutzgiften, Medikamenten, Plastik und Röntgenkontrastmitteln in unseren Bächen ist unbedingt notwendig.


Die massive Verschmutzung der Wutach wird in einer "Kurzen Geschichte der Kläranlage Neustadt" dargestellt:

Nach nur wenigen Jahren war die vorhandene Anlage nicht nur zu klein, sondern auch die Qualität der Abwasserreinigung musste gesteigert werden. Die Verschmutzung der Gutach und Wutach hatte insbesondere in den 70er Jahren dramatisch zugenommen. Hinzu kamen die Probleme der Abwasserbeseitigung der 1971 eingegliederten Gemeinde Titisee und der Abwasserringleitung um den Titisee, die 1972 zur Reinhaltung des Sees gebaut worden war. So fasste der Gemeinderat der Stadt Titisee-Neustadt 1974 den Beschluss, die Kläranlage stufenweise zu einem mechanisch-biologischen Klärwerk mit einer Reinigungsleistung für 42.000 EW auszubauen. Neben der Reinhaltung der Gewässer war schon damals auch die Stadtentwicklung ein gewichtiger Grund, weil die neuen Baugebiete in Titisee erst dann verwirklicht werden konnten, als die Entsorgung und Reinigung der Abwässer gesichert war.
Nach zehnjähriger Bauzeit konnte 1985 die stark erweiterte Kläranlage in Betrieb genommen werden.



Umweltgeschichte: Die Wutach im Schwarzwald, die Papierfabrik Neustadt und die erfolgreichen Kämpfe für eine bessere Wasserqualität

(Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands, in: Zeitschrift für angewandte Chemie, 1889, S.497-498f.)
Zitiert nach Zur Geschichte des Gewässerschutzes am Ober- und Hochrhein



  • „1. Eine generelle Behandlung der Abwässerfrage muss als eine Unmöglichkeit bezeichnet werden. Natur und Menge der Abwässer, Wassermengen des Flusses, Strömung, örtliche Lage der Fabrik, Bodenverhältnisse, bisherige Verwendung der Flußwässer u.a.m. werden in jedem einzelnen Falle zu erwägen sein und für den einzelnen Fall die Entscheidung geben müssen.

  • 2. Die Ableitung der Fabrikwässer in die Flüsse ist notwendig und berechtigt. Die Flüsse sind als die natürlichen Ableiter der Abwässer anzusehen und zu benutzen, wobei in jedem einzelnen Falle die Bedingungen zu prüfen und festzustellen sind; insbesondere zu berücksichtigen ist der Einfluß der Wassermenge der Flüsse und Bäche auf die Unschädlichmachung der Abwässer durch Verdünnung, durch chemische Einwirkung, durch vegetabilische und animalische Lebensprozesse.

  • 3. Die Feststellung allgemeiner Grenzwerte des Gehaltes an schädlichen Bestandteilen der Abwässer beim Eintritt in die Flußläufe ist nicht durchführbar, weil solche Grenzwerte jeweils den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falles anzupassen sind.

  • 4. Die Entstehung epidemischer Krankheiten durch Fabrikabwässer ist bisher nicht nachgewiesen.

  • 5. Die Industrie erkennt im übrigen grundsätzlich ihre Verpflichtung an, nach Maßgabe der durch Wissenschaft und Praxis gegebenen Mittel Belästigungen durch Abwässer nach Möglichkeit zu vermeiden oder zu vermindern. Gleichzeitig aber ist eine Abwägung der Interessen geboten und bei entgegenstehenden und nicht zu versöhnenden das wirtschaftlich Größere zu schützen.


Kap. 41696. Zur Herbeiführung einer einheitlichen und gleichmäßigen Behandlung von bezüglichen Streitfragen erscheint die Schaffung einer gewerblichen-technischen Reichsbehörde geboten


Umweltkatastrophen an der Wutach:
Das wohl verheerendste Fischsterben im November 1982 ging nicht mehr auf regelmässige Einleitungen zurück, sondern wurde durch auslaufenden Kunstharz verursacht. Die durch diese Katastrophe hervorgerufenen Verluste wurden auf über 95% des Fischbestandes geschätzt. Das letzte grosse Fischsterben im Juli 1993 hatte seine
Ursache im Austreten von Cyanidverbindungen aus einer Galvanikanlage









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Axel Mayer Mitwelt Stiftung Oberrhein
Mit Zorn und Zärtlichkeit auf Seiten von Mensch, Natur, Umwelt & Gerechtigkeit.


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