2006 - Mensch, Natur und Umwelt am Südlichen Oberrhein / Ein umweltpolitischer Rückblick


Veröffentlicht am 18.12.2006 in der Kategorie Umweltgeschichte von Axel Mayer

2006 - Mensch, Natur und Umwelt am Südlichen Oberrhein / Ein umweltpolitischer Rückblick



Alle Jahre wieder - unser Rückblick auf das vergangene Jahr. Ein kurzer, zwangsläufig unvollständiger Überblick über einige wichtige Umwelt- und Naturschutzthemen nicht nur im Dreyeckland. Und eben auch Informationen über Erfolge und Misserfolge und die Bitte um journalistische Verwertung

Freiburg 19.12.2006
Das Jahr 2006 begann für den BUND mit einer freudigen Überraschung. Unsere langjährigen Kämpfe und Auseinandersetzungen um Wasserreinhaltung, Kläranlagen und um die Durchlässigkeit der Bäche und Flüsse bringt jetzt Erfolge für Mensch und Natur. Im Jahr 2005 gab es nach 50 Jahren den ersten Fund von Lachslaich in der Kinzig. 2006 fand sich nach über 100 Jahren wieder Lachslaich in der Murg. Wenn das Symboltier Lachs in seine alten Heimatgewässer zurückkehrt, wenn Menschen wieder in Bächen und Flüssen baden können, dann ist das auch mit ein Ergebnis unserer Natur- und Umweltarbeit der letzten Jahrzehnte. Jetzt muss sich der BUND verstärkt darum kümmern, dass aus den zu Kanälen geronnenen Gewässern wie Elz, Dreisam, Glotter und Kinzig wieder naturnahe Bäche und Flüsse werden. Beim Integrierten Rheinprogramm wurden 2006 die Aspekte des Naturschutzes leider immer mehr zurückgedrängt.

Der Atomkonzern EnBWschmückt sich seit diesem Jahr mit dem "Umwelt"zertifikat nach ISO 14001. Der Konzern, der seinen Strom u.a. aus überalterten, umweltbelastenden und gefährlichen Atomanlagen bezieht, versucht sich so ein grünes Image zu geben.

Die chemische Vergiftung unserer Gewässer wurde erfolgreich bekämpft und darüber haben wir die thermische und radiologische Belastung ein wenig aus den Augen verloren. Das französische AKW Fessenheim hat keine Kühltürme und setzt zu hundert Prozent auf die für die Betreiber EDF und EnBW profitable, für den Rhein aber höchst problematische Flusswasserkühlung. Im warmen Frühsommer 2006 wurde die kritische Hitzemarke beinah erreicht. Der Rhein darf durch die beiden Kraftwerksblöcke im Juni, Juli und August um skandalöse 4 °C und im September, Oktober, November, März, April und Mai um 6,5 °C erwärmt werden. Im Dezember, Januar und Februar darf der Rhein sogar um 7 °C wärmer werden. Bis auf 30 °C darf das Atomkraftwerk den Rhein aufheizen. Wenn alle Kraftwerke am Rhein auf Kühltürme verzichtet hätten, wäre der Rhein biologisch tot. Zusätzlich zur Erwärmung des Rheins kommt noch die radioaktive Verschmutzung. Alle Atomkraftwerke belasten, auch im so genannten Normalbetrieb, die Flüsse mit radioaktivem Tritium. Der Grenzwert für erlaubte Radioaktivitätsabgabe in den Rhein liegt in Fessenheim bei 74.000 Milliarden Becquerel im Jahr. Hier wird sich der BUND in Zukunft verstärkt engagieren.

Ein weiteres wichtiges Thema für uns ist die zunehmende Zersiedelung, Verscheußlichung und Verlärmung unserer Heimat am Oberrhein. Am Beispiel des geplanten Bahnausbaus wird deutlich, was es bedeutet in einem europäischen Transitraum zu leben. Wir brauchen das dritte und vierte Gleis. Das "Schutzgut Mensch" muss aber bei allen Planungen im Mittelpunkt stehen.

Zu Beginn des Jahres 2006 lag die Staatsverschuldung in Deutschland bei ca. 1469 Milliarden Euro und die Neuverschuldung nimmt weiter zu. Die Verschuldung pro Kopf der Bevölkerung beträgt etwa 17.000 EURO. In einer Zeit, in der die bestehende Infrastruktur in Deutschland fast nicht mehr unterhalten werden kann, fordern auch südbadische Politiker immer noch unsinnige neue, teure und klimaschädliche Projekte (Parkhaus am Feldberg, neue Straßen, Ausbau Flugplatz Lahr...) "Stuttgart 21" ist überall, auch in Südbaden. Wenn diese mit Schulden gebauten Projekte dann irgendwann endlich abgezahlt sind, haben die teuren Reparaturen schon längst begonnen. Eine der Ursachen des Freiburger Schuldenberges ist das nicht nachhaltige "billige" Bauen der letzten Jahrzehnte. Diese Analyse war in der hitzigen Freiburger Debatte nicht gefragt. Kritische Analysen waren 2006 generell wenig gefragt.

Eine sinnvolle Investition war die Entgiftung der Straßburger Hausmüllverbrennungsanlage. Nach jahrzehntelangen Protesten von Umweltschützern auf beiden Seiten des Rheins wurden 35,8 Millionen Euro in die absolut notwendige Entgiftung der alten Dioxinschleuder gesteckt. Luftreinhaltung, technischer Fortschritt und bessere Umweltgesetze fallen nicht vom Himmel, sie wurden und werden immer auch von UmweltschützerInnen erstritten.

Im Elsass haben 110 gewählte Abgeordnete verschiedener Parteien und verschiedener politischer Ebenen die Stilllegung des Atomkraftwerks Fessenheim gefordert. Die teilweise mit großer Heftigkeit geführte Debatte in Südbaden um den Trinationalen Atomschutzverband TRAS zeigt, dass dieser Verband von den Atomkraftwerksbetreibern und ihren Lobbyisten in der südbadischen Politik sehr ernst genommen wird. Der BUND-Regionalverband prüft gerade, ob wir gemeinsam mit TRAS gegen das altersschwache und zunehmend gefährlicher werdende AKW Fessenheim klagen können.

Anfang des Jahres hat das Amtsgericht Mulhouse (F) ein skandalöses Urteil in Sachen Umwelt verkündet. Hintergrund war die gravierende Grundwasserverschmutzung vom Jahreswechsel 2002 – 2003 bei der Rhodia in Chalampé. Unbemerkt war damals die unglaubliche Menge von 1200 Tonnen (!) Cyclohexan "ausgetreten" und teilweise ins Grundwasser versickert. Nur 7500 Euro Bußgeld für 1200 Tonnen Cyclohexan im Grundwasser muss die Firma Rhodia in Chalampé jetzt zahlen. Der BUND wird 2007 weiter gegen derartige Ungerechtigkeiten angehen.

Das gleiche gilt auch für unser altes Dauerthema Grundwasserversalzung. Eine Million Tonnen Salz sind auf der Fessenheimer Rheininsel "einfach so" ins Grundwasser versickert. Wenige Kilometer unterhalb der Fessenheimer Rheininsel finden sich auch in Südbaden bereits jetzt bis zu 50 Gramm Salz in einem Liter Grundwasser - Meerwasser enthält im Schnitt nur 35 Gramm! Diese Salzlauge fließt ca. 100 Meter unterhalb der Geländeoberkante langsam nach Norden. Die verdünnte Spitze der Salzfahne bereitet der Wasserversorgung in Breisach Probleme.

Der BUND hat vor Jahren die Verursacher dieser größten Umweltverschmutzung am Oberrhein angezeigt, um das Verursacherprinzip durchzusetzen. Wir begrüßen alle Untersuchungen und alle sinnvollen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Mit 260 000 Euro der Steuerzahler fördert die EU auch dieses Jahr wieder Untersuchungen der Grundwasserversalzung. Warum zahlen wir Steuerzahler und nicht die Verursacher der Verschmutzung, die "Mines de Potasse d`Alsace"? Die Folgekosten, beispielsweise die Verlegung der Breisacher Brunnen und alle teuren Untersuchungen zahlten in der Vergangenheit stets die Verbraucher- und SteuerzahlerInnen auf beiden Rheinseiten. Wenn der Verursacher einer Umweltbelastung zweifelsfrei feststeht, dann muss dieser bestraft werden und die Sanierungs- und Untersuchungskosten tragen. Doch dieses Prinzip wird allzu häufig nur bei kleinen Umweltsündern angewandt. Gegen diese Ungerechtigkeit anzugehen wird eines der wichtigen Themen des BUND im Jahr 2007.

Beinahe hätten wir in diesem Jahr eines der schönsten und wichtigsten regionalen BUND-Jubiläen verpasst. Im Sommer vor 30 Jahren veranstalteten einige Aktive des damals frisch gegründeten Bund für Umwelt und Naturschutz die weltweit erste Ausstellung zu alternativen Energien in Sasbach am Kaiserstuhl. Der Widerstand gegen das im Nachbardorf Wyhl geplante AKW, das berühmte "Nai hämmer gsaid", war uns BUND-Aktiven nicht genug, es galt auch Alternativen zur Atomenergie aufzuzeigen. Aus heutiger Sicht war es eine kleine, ja geradezu winzige Ausstellung alternativer Energien. Aber gerade dieses "aus heutiger Sicht" zeigt den unglaublichen Erfolg der damaligen Idee und der umgesetzten Vision. Es ist unglaublich und faszinierend, was sich in 30 Jahren aus diesen "Sonnentagen" entwickelt hat. Umweltprodukte und Umweltideen haben längst die kleinen Nischen verlassen. Ökoprodukte und Umwelttechnik, die vor 30 Jahren in Sasbach noch bestaunte Sensationen waren, gibt es heute häufig im Baumarkt um die Ecke.

Geheimgehaltene Genmaisverursuchen am Oberrhein hat die Genlobby von 1999 bis 2004 durchgeführt. Dies wurde 2006 bekannt. Ein (nie zugegebenes ) Ziel solcher Versuche ist es, eine Kontamination der umliegenden Felder zu erreichen. Inseln gentechnikfreier Nahrungsproduktion stören die Gewinninteressen der Industrie und ihrer Lobby in den Parlamenten. Irgendwann sollen die VerbraucherInnen nur noch die Wahl zwischen stark und leicht gentechnisch veränderten Nahrungs-mitteln haben. So soll Zwangsakzeptanz für Genfood geschaffen werden.

Die Wälder am Oberrhein und im Schwarzwald sind auf Grund der Trockenheit, des Klimawandels und der Luftschadstoffe in einem verheerenden Zustand. Das öffentliche und veröffentlichte Interesse am Thema ist minimal.

Einen geheimen Brief der Umweltverbände in Sachen "Schutz des AKW Fessenheim vor Terrorgefahren" wurde von Behördenvertretern leider veröffentlicht. Der BUND und die grenzüberschreitenden Umweltverbände wollen die Schließung eines Dammweges beim AKW Fessenheim. Von diesem Weg aus trennt nur noch der Seitenkanal des Rheins, ein lächerlich niedriger Zaun und dünner Beton einen möglichen Angreifer vom radioaktiven Reaktorkern und vom noch schlechter geschützten Zwischenlager für Atommüll. Erschreckend ist die Tatsache, dass überall der Überwachungsstaat ausgebaut und BürgerInnenrechte eingeschränkt werden. Dort wo allerdings konkrete Gefahren bestehen, schlafen AKW Betreiber, Behörden und Politik.

In Sachen Mensch, Natur, Umwelt, Atomgefahren, Klimaschutz und echter Nachhaltigkeit gibt es für den BUND im Jahr 2007 genug zu tun. Träume von einem Ende der aktuellen regionalen und weltweiten Raubbauwirtschaft und von einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Welt müssen aktiv angegangen und umgesetzt werden. In den örtlichen BUND-Gruppen der Region, im BUND-Regionalverband und bei "Friends of the earth", dem weltumspannenden Netzwerk von Umweltgruppen, in dem wir aktiv mitarbeiten.

Axel Mayer / Geschäftsführer


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2023 Lützerath - 1974-1975 Wyhl und Marckolsheim / Für Leben und Zukunft


Lützerath / Trotz alledem


Aufhalten konnten wir die Räumung nicht. Die atomar-fossilen Seilschaften und die Atom- und Klimakatastrophen-Verantwortlichen haben sich und uns in Lützerath wieder ein kleines Stück zu Tode gesiegt. Und dennoch war der gewaltfreie Kampf sinnvoll und notwendig. Er ist Sand im Getriebe der Weltzerstörung. Und ein Sandkorn kann ähnlich wie der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Sturm entfachen.
Axel Mayer



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