1975-2025: AKW Wyhl Protest / 50 Jahre Bauplatzbesetzung


Veröffentlicht am 05.02.2023 von Axel Mayer

1975-2025: AKW Wyhl Protest / 50 Jahre Bauplatzbesetzung


„Die Umweltbewegung wird für das gelobt, was sie in der Vergangenheit getan und erreicht hat und sie wird dafür kritisiert, was sie aktuell fordert und durchsetzen will“

Das geplante Kernkraftwerk Wyhl bei Wyhl am Kaiserstuhl sollte ursprünglich zwei Reaktorblöcke der 1300-Megawatt-Klasse umfassen. In den beiden Reaktoren wäre jährlich die kurz- und langlebige Radioaktivität von ca. 2600 Hiroshima-Bomben entstanden. Der in Wyhl produzierte Atommüll müsste ca. einen Million Jahre sicher aufbewahrt werden...

Am 18. Februar 1975
wurde im Wyhler Wald Geschichte geschrieben. Es war der Tag des Baubeginns für die geplanten AKW. Männer und Frauen stellten sich mit ihren Kindern vor die Baumaschinen und brachten diese zum Stillstand, um ihre bedrohte Heimat zu schützen. Es folgte die erste Räumung des Platzes durch die Polizei am 20. Februar 1975. Nach einer Kundgebung am Sonntag, dem 23. Februar 1975, an der laut polizeilichen Angaben 28.000 Menschen teilnahmen, besetzte die Bevölkerung das Gelände erneut. Die Volkshochschule Wyhler Wald wurde gegründet. Erst im November 1975 verließen die Bürgerinitiativen den Platz, der nun von den Bürgerinitiativen, der Landesregierung und der (Kernkraftwerk Süd) KWS gemeinsam bewacht wurde.

Auch aus dem erfolgreichen „NAI hämmer gsait“ der Bauplatzbesetzungen in Marckolsheim (F), Wyhl (D), Gerstheim (F), und Kaiseraugst (CH) und aus dem zeitgleichen „JA hämmer gsait“ der Sonnentage in Sasbach und den Anfängen der Umweltbewegung entwickelte sich nach und nach ökologischer, menschengerechter Fortschritt. Die Umweltbewegung am Kaiserstuhl stand auch für den Kampf für die zukunftsfähigen Energien, die von Lobbyisten 50 Jahre lang aggressiv bekämpft wurden.


Wyhl-Protest & Sonnentage in Sasbach: Die erste Solar-Ausstellung 1976
Entnommen aus "Solare Zeiten - die Karriere der Sonnenenergie" von Bernward Janzing


Wyhl war ein wichtiger optimistischer Impuls für die globale Anti-Atom-Bewegung und die Opfer der Atomunfälle in Tschernobyl und Fukushima haben den damals Aktiven Recht gegeben. Der Wyhl-Protest stand aber immer auch für einen grenzüberschreitenden, weltoffenen, europäischen, toleranten, alemannischen Regionalismus.
Die frühen, verzweifelt-hoffnungsfrohen, grenzüberschreitenden, ökologischen Konflikte im Dreyeckland (Wyhl, Breisach, Schwörstadt, Marckolsheim, Kaiseraugst, Gerstheim, Heitersheim...) brachen erstmals mit der vorherrschenden Nachkriegslogik der Gier, des Wachstumszwangs und der Zerstörung. Sie waren erste Zeichen der Hoffnung mit Fernwirkung und haben die globalen Zerstörungsprozesse entschleunigt.


Im Protest gegen das AKW Wyhl und dasBleiwerk in Marckolsheim liegen auch wichtige Wurzeln der heutigen Klimaschutzbewegung.
1974 begann mit der Bauplatzbesetzung gegen das extrem luftverschmutzendes Bleichemiewerk im elsässischen Marckolsheim der erfolgreiche Kampf um saubere Luft. Wenige Jahre später engagierten sich viele Marckolsheim-Wyhl-Aktive in der Bewegung gegen dasWaldsterben 1.0. Auch aus diesen frühen Kämpfen entwickelte sich auch die heutige Klimaschutzbewegung.


Aus konservativen Nur-Naturschutzverbänden wurden Umwelt- und Naturschutzverbände. Luft und Wasser sind durch die langen Kämpfe der letzten 50 Jahre sauberer geworden, der Atomausstieg ist eingeleitet, Strom aus Wind und Sonne ist zwischenzeitlich billiger als Strom aus neuen AKW und Kohlekraftwerken.

Dies alles ist kein Grund für Nostalgie.
Es ist erstaunlich, dass 5 Jahrzehnte nach Wyhl die damals vorherrschende unkritische Technikbesoffenheit und ein rückwärtsgewandter Fortschrittsglaube gerade wiederkehrt, obwohl dieser Glaube uns Fukushima, Tschernobyl, Klimawandel und Artenausrottung gebracht hat. Wir leben immer noch in Zeiten globaler und regionaler Umwelt- und Naturzerstörung. Klimawandel, Artenausrottung, Kriege, ökonomisch-ökologische Krisen, Hunger in der Welt, eine Zunahme von Gewalt, Irrationalität und Intoleranz prägen unsere Zeit. Ein Blick in die Welt zeigt zunehmende Gefährdungen, Krisen, Kriegsgefahren, politische und manchmal auch gesellschaftliche Auflösungserscheinungen. Die umwelt- und demokratiegefährdende Macht der großen, steuervermeidenden Konzerne hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Wenn es um deren ökonomische Interessen geht, dann haben trotz neuer, geschickterer Durchsetzungsstrategien und Greenwash, die Angriffe auf die Umweltbewegung und Fridays for Furure fast die gleiche „Qualität“ wie vor 50 Jahren.

Heute, lange nach dem Wyhl-Konflikt, gibt es leider immer mehr industriegelenkte Bürgerinitiativen, Stiftungen und egoistische Gruppen, die mit vorgeschobenen Umwelt- und Naturschutzargumenten gegen Mensch, Natur und Umwelt agieren.

Es gibt viele Gründe, sich über vergangene Erfolge zu freuen und unendlich viel zu tun.
Im großen, globalen Krieg des Menschen gegen die Natur und damit gegen uns selber, haben wir in Wyhl und Marckolsheim die globalen Zerstörungsprozesse entschleunigt und einen kleinen, wichtigen, regionalen Teilerfolg erzielt. Es lohnt, sich zu engagieren. Mein Dank geht an die unzähligen Wyhl-Aktiven, an Freundinnen und Freunde.

Axel Mayer, ehemaliger Bauplatzbesetzer und Sprecher der BI Riegel, heute (Alt-)BUND-Geschäftsführer, Vorstandsmitglied TRAS & Kreisrat

(Dies ist ein Kurztext zum Thema AKW-Wyhl, die umfangreiche Langversion, eine Wyhl-Chronik und viele umfangreiche Zusatzinfos finden Sie hier.)