Billiger Atomstrom und neue kleine AKW? Die Verschwörungstheorien der Atom-Lobby


Veröffentlicht am 10.02.2022

Billiger Atomstrom und neue, kleine AKW? EDF-Aktien im Keller


Das Märchen vom billigen französischen Atomstrom



"Brot und Spiele"(Panem et circenses) waren die Durchsetzungsstrategien im römischen Reich, um die Macht zu erhalten. "Billiges Benzin, kostengünstiger Strom und Fußball" sind in der Demokratie gerne propagierte Wahlkampfstrategien.

In Frankreich ist die Atomindustrie im Niedergang und der Atomkonzern EDF hoch verschuldet. Gleichzeitig verspricht der neoliberale Atom-Lobbyist und Staatspräsident Macron wieder einmal billigen Atomstrom und will neue kleine AKW bauen lassen. Ein kleiner Teil der finanziellen Probleme der französischen Atomwirtschaft soll mit EU-Geldern gelöst werden.

Gerne wird in diesem Zusammenhang in Frankreich und auch in Deutschland das Märchen vom billigen französischen Atomstrom verbreitet und die Nutzung der Atomenergie als rettende Wunderwaffe im verloren gehenden Krieg gegen Natur und Umwelt gepriesen. Die von langer Hand geplante Renaissance der Atomkraft wird mit Lügen und Verschwörungstheorien vorbereitet.

Der Strompreis in Frankreich ist allerdings nur scheinbar günstig...
Nach einem Bericht des obersten Rechnungshofes in Frankreich kosteten die Erforschung, Entwicklung sowie der Bau der französischen Kernkraftwerke insgesamt 188 Mrd. Euro. (Eine Milliarde sind 1000 Millionen!) Da in Frankreich die "zivile" und die militärische Nutzung der Atomkraft nicht zu trennen sind, liegt die Summe vermutlich wesentlich höher. Die Nachrüstung der überalterten französischen Reaktoren wird über 55 Milliarden kosten. Die Zeitschrift Liberation berichtet von Nachrüstkosten von fast 100 Milliarden bis zum Jahr 2030.


EDF-Aktien verkaufen! Kursverlust & Risiko: französische Atomkraft, marode Alt-Reaktoren, neue, teure AKW & sinkende EDF Aktienkurse


Frankreichs Energiepolitik und mit ihr der französische Atomkonzern EDF stehen mit dem Rücken zur Wand. Der Energiekonzern und AKW Betreiber Electricité de France (EDF) ist hoch verschuldet und die Aktienkurse sind seit Jahren im Sinkflug. Seit 10 Jahren verlieren die EDF Aktien jährlich 5% an Wert, schreibt boerse.de. Die französischen Atommeiler sind überaltert und marode, im Winter 2021-2022 standen 15 Reaktoren still und die Gefahr schwerer Unfälle wächst. Die EDF hat ein riesiges Problem: Fast alle Atomkraftwerke in Frankreich wurden in der gleichen Dekade gebaut und sie werden jetzt gleichzeitig alt. Für die Sanierung oder gar für den notwendigen, teuren Abriss ist kein Geld vorhanden. Der Reaktorbaukonzern AREVA wurde 2017/18 zerlegt und umstrukturiert, weil ihn die Neubaukosten für die Atomkraftwerke in Flamanville (Frankreich) und Olkiluoto (Finnland) in die Knie zwangen. Und in 2021 mussten auch noch die beiden einzigen weltweit in Betrieb befindlichen AKW-Blöcke des Typs Europäischer Druckwasserreaktor (EPR) in Taishan (China), die AREVA gebaut hatte, aufgrund von Konstruktionsfehlern abgeschaltet werden. Die beiden in China gebauten EPR haben massive technische Probleme und zerlegen sich gerade.

Laut einem Bericht des französischen Wirtschaftsministeriums
hatte die halbstaatliche EDF Ende 2019 rund 41 Milliarden Euro Schulden und bis 2028 sollen es fast 57 Milliarden Euro (57.000.000.000) sein. Um innenpolitische Probleme zu verhindern, darf die EDF den Strompreis aus politischen Gründen nicht erhöhen. Die EDF-Verbindlichkeiten treiben Frankreichs Staatsverschuldung massiv in die Höhe. Die Menschen in Frankreich (und insbesondere deren Enkel) zahlen den scheinbar billigen, teuren Atomstrom mit der Steuer.
In diesen Kosten ist weder der Abbau der AKWs noch eventuelle Kosten eines schweren Unfalls einberechnet. Ein schwerer Atomunfall hätte in Frankreich verheerende Folgen. Eine Regierungsstudie rechnet mit 430 Milliarden Euro Kosten.

In Frankreich betreibt die EDF 56 überalterte Reaktoren, die jetzt fast gleichzeitig alt und marode werden, hat aber fast keine Rücklagen für den Abriss gebildet. In Deutschland geht der Staat sehr optimistisch von 47 Milliarden Kosten für Abbruch und Endlagerung aus. Der Abbruch der großen Zahl an französischen AKWs könnte bei steigenden Kosten weit über 100 Milliarden Euro kosten, wenn bei der Sicherheit nicht gespart wird. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Atomwirtschaft den französischen Staat auch ohne jederzeit möglichen Atomunfall in den Ruin treibt.

An der französischen Atlantikküste in Flamanville wird seit dem Jahr 2007 ein „Europäischer Druckwasserreaktor“ (EPR) gebaut. Das Vorzeigeprojekt sollte ursprünglich 2012 zum Fixpreis von 3,2 Milliarden Euro fertiggestellt sein. Seitdem wurde der Betriebsbeginn immer wieder verschoben, der Rechnungshof beziffert die Kosten auf jetzt über 19 Milliarden Euro. Ob der EPR 2024 ans Netz gehen kann, ist fraglich. Wirtschaftlich arbeiten wird der Musterreaktor nie.


Einschub vom 29.11.2021 / Der neue EPR in China zerlegt sich gerade selber...


Mithilfe eines Whistleblowers rekonstruieren französische Forscher einen Unfall mit Freisetzung von Radioaktivität in einem südchinesischen Atomkraftwerk: Offenbar hat ein dort verbauter neuer AREVA - Atom-Reaktor einen Konstruktionsfehler. In China hieß es verharmlosend, das AKW sei für "Wartungsarbeiten" abgeschaltet worden, in westlichen Medien wird der Hinweis auf die entwichene, krebserregende Radioaktivität gerne vermieden. An den Brennelementen festgestellte Beschädigungen seien auf "abnormale Vibrationen" zurückzuführen, die "mit einem Konstruktionsfehler des EPR-Druckbehälters in Verbindung stehen", schrieb die CRIIRAD. Wenn ein so massives Bauteil wie der Reaktorkern so durchgeschüttelt wird, dass die Brennelemente verbiegen, dann ist etwas sehr, sehr falsch gelaufen.
Der Austritt von radioaktivem Gas soll auf einen Konstruktionsfehler des Reaktordruckbehälters zurückzuführen sein, wie die französische Vereinigung CRIIRAD bekannt gab. Der französische Energiekonzern Electricité de France (EDF) war an dem Bau des neuen Muster-AKW in Taishan in Südchina beteiligt. Die Geschichte des neuen AKW-Typs (European Pressurized Water Reactor, EPR) ist eine Geschichte von Pleiten, Pech, Pannen und Kostenexplosionen. Beim neuen EPR-Reaktor in Flamanville sind die Kosten von geplanten 3,3 Milliarden auf über 19 Milliarden Euro angestiegen.


Der Schweizer Atom-Lobbyist und Axpo-Chef Christoph Brand lässt die Träume vom billigen Atomstrom aus neuen, kleinen AKW platzen. "Die Produktionskosten für den Strom, den neue Kernkraftwerke liefern, seien gegenwärtig etwa doppelt so hoch wie jene von größeren Wind- und Solaranlagen, so Brand. Egal, wie man die Risiken der Kernkraft einschätze, es sei schlicht nicht wirtschaftlich, auf neue AKW zu setzen." sagte er in der atomfreundlichen NZZ am 21.10.2021. Das sieht auch Mycle Schneider, Autor des World Nuclear Industry Status Reports (WNISR), sieht noch höhere Kosten als der Atom-Lobbyist Brand: "Atomkraft ist etwa viermal so teuer wie Wind oder Solar und der Bau dauert fünfmal so lang."

In Ländern mit einem funktionierenden Markt werden keine neuen AKWs gebaut. Im Zweifelsfall hilft immer auch ein Blick auf den langfristig massiv gesunkenen Aktienkurs der EDF, um die Marktchancen der von Staatspräsident Macron angekündigten, atomaren Renaissance zu bewerten.

"Brot und Spiele" mit künstlich niedrig gehaltenen Atom-Strompreisen kann im Wahlkampf funktionieren. Kostengünstiger, risikoloser Strom entsteht heute mit Fotovoltaik und Windenergie.

Axel Mayer, Mitwelt am Oberrhein, der Autor ist Vizepräsident im Trinationalen Atomschutzverband TRAS und war 30 Jahre lang BUND-Geschäftsführer in Freiburg

Mehr Infos: Macron: Thorium Reaktoren, Atom-Bomben & neue AKW für Frankreich & die Welt?



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