2024 / Die Kinzig im Schwarzwald: Kanal oder Bach?


Veröffentlicht am 01.02.2024 in der Kategorie Wasser von Axel Mayer

Die Kinzig im Schwarzwald: Langsame Erfolge für Mensch, Natur und Lachs



Die Kinzig entspringt auf der Gemarkung der Gemeinde Loßburg,
Landkreis Freudenstadt im Schwarzwald. Sie fließt zunächst nahe des östlichen Gebirgsrandes in südliche Richtung. Dabei verlässt sie wenig südlich von Alpirsbach den Landkreis Freudenstadt und streift den Landkreis Rottweil. Der größte Teil ihres Laufes liegt aber im Ortenaukreis. In der Stadt Schiltach knickt die Kinzig nach Westen ab. Bei Hausach wird mit der Einmündung des Gutachtales das gewundene Tal breit, eher geradlinig und dicht besiedelt. Bei Haslach knickt ihr Lauf nach Nordwesten ab. Ab Offenburg verlässt die Kinzig den Schwarzwald und mündet bei Kehl in den Rhein.


In ihrem oberen Lauf ist die Kinzig auf kurzen Strecken ein typischer Gebirgsfluss.
Wegen der Hochwassergefahr wurde die Kinzig im breiten mittleren und unteren Laufabschnitt in ein Bett mit Doppeltrapezprofil und hohen Deichen gezwängt. Im untersten Laufabschnitt unterhalb der Schutter-Mündung wurden erste Renaturierungsmaßnahmen durchgeführt.


Die Landschaft im oberen Kinzigtal im Schwarzwald ist noch wunderschön,
flussabwärts aber ist das Tal der Kinzig extrem zersiedelt und verschandelt. Hier wuchert immer schneller, gegen jede Idee vernünftiger Regionalplanung, ein hässliches, zugebautes, scheußliches Siedlungsband zusammen. Liebevoll geplante Baugebiete einzelner Gemeinden entwickeln sich zu einem gesichtslosen Siedlungsbrei. Die viel zu kleinen Naturflächen, die der Regionalplan zwischen den Gemeinden freizuhalten versucht, werden zu Stadtparks in einer sich entwickelnden Bandsiedlung im Kinzigtal.


Wassermangel und Trockenheit in der Kinzig gibt es immer häufiger. Immer öfter fallen südbadische Bäche und Flüsse im Hochsommer auf Teilstrecken trocken und der Grundwasserspiegel sinkt.
Was tun?
  • An erster Stelle steht selbstverständlich die Bekämpfung des Klimawandels, dessen Hauptursache das unbegrenzte Wachstum im begrenzten System Erde ist
  • Wassersparen in allen Bereichen (private Haushalte, Industrie, Landwirtschaft) und nicht nur putzige Alibimaßnahmen
  • Sanierung desGrundwassers und Verbesserung der Grundwasserqualität durch Vermeidung des Schadstoffeintrages (ein schlechtes Beispiel ist derBugginger Salzberg)
  • Schwammstadtkonzepte auch in Südbaden
  • Vermeidung weiterer Zersiedelung und Überbauung und Entsiegelung von bestehenden Asphalt- und Beton-Flächen, wo immer dies möglich ist
  • Verstärkte Regenwasser- und Brauchwassernutzung
  • Wo immer möglich, in trocken fallenden Gewässern "tiefe Gumpen" mit Grundwasseranschluss einbauen, um Fischen eine Überlebensmöglichkeit zu schaffen
  • Renaturierung aller unserer Bäche und Flüsse
  • Angesichts trocken fallender Bäche und der damit verbundenen Vernichtung von Flora und Fauna könnte langfristig eine möglichst naturnahe Wasserrückhaltung für unsere Bäche im Hochschwarzwald nötig sein, um Natur, Mensch, Fischen, Wasserkraftbetreibern und Landwirtschaft zumindest mit einer Mindestwassermenge in Extremsommern dienen zu können.
  • Flächendeckende Vernässungsmaßnahmen wie in der Teninger Allmend. Dort gibt es seit den 1970er-Jahren ein Grabenbewässerungssystem, ergänzt durch periodische künstliche Überflutungen wechselnder Waldbereiche. Es wurden neun km Erdgräben neu angelegt und sechs km alte ehemalige Entwässerungsgräben reaktiviert. Im Zentrum des Gebietes entstanden Sickerteiche. Bis zu 400 Litern Wasser pro Sekunde wurde bei entsprechend hohen Wasserständen aus der Elz entnommen. Durch das Schließen von Stellfallen konnten künstliche, flächige Überflutungen ganzer Waldgebiete initiiert werden. Wissenschaftliche Untersuchungen zu dieser Maßnahme zeigen, dass die Grundwasserstände bis 1975 deutlich anstiegen, dass ab 1983 jedoch eine Umkehr dieses positiven Trends einsetzte. Ursache war die Verschlammung der Gräben und Teiche. Diese alte Idee sollte (wo immer noch möglich) aufgegriffen werden und die Versickerungs-Bäche und Teiche sollten in großen Abständen entschlammt werden.



Kinzig und Lachs?
Was der Mensch den Gewässern, dem Rhein, der Kinzig und den anderen Zuflüssen angetan hat,
lässt sich am besten am Beispiel des Lachses aufzeigen. Heute berichten die Zeitungen umfangreich, wenn es wieder einmal ein einzelner Lachs in einen der Rheinzuflüsse geschafft hat.
Nach über fünfzig Jahren ist im Jahr 2005 erstmals wieder Lachslaich in der Kinzig und damit im baden-württembergischen Rheingebiet entdeckt worden.
Dazu kamen nach und nach einzelne Funde in der Murg und der Elz. In den fünfziger Jahren starb der Rhein-Lachs vollständig aus, die ursprüngliche Population war weg und wurde durch aufwändige Nachzuchten aus Loire und Allier ersetzt. Wir reden und lesen dann gerne von "ausgestorben" oder "verschwunden". Das klingt so schön nach "still von uns gegangen" und benennt nicht unsere Verantwortung. Doch das einzig treffende Wort für dieses Verschwinden ist der Begriff "ausgerottet". Die regionale und globale Artenausrottung ist kein Phänomen der letzten 20 Jahre, sie hat sich aktuell nur global etwas beschleunigt. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen zur Artenvielfalt werden als Kollateralschaden unbegrenzten globalen Wachstums gerade bis zu 130 Tier- und Pflanzenarten täglich ausgerottet.

Mit Wasserverschmutzung, Begradigung, Kanalisierung, Stauwehren und Schleusen
haben wir schon in den letzten 150 Jahren den ehemaligen Lachs-Bestand im Rhein auf null reduziert. Jeder einzelne Lachs, der es heute wieder in das Flussgebiet am Oberrhein schafft, ist ein Erfolg der Umweltbewegung und der Fischereiverbände. Doch noch vor hundert Jahren war der Rhein der bedeutendste Lachsfluss Europas. Jahr um Jahr kehrten etwa eine Million(!) Lachse von ihrer langen Reise nach Grönland zurück in die Rheinzuflüsse im Schwarzwald, im Elsass und in die Schweizer Alpen. Um 1900 wurden allein aus dem Rhein jährlich ca. 85.000 Tonnen Lachs gefischt. Wir können uns auch nicht ansatzweise vorstellen, was wir verloren haben und was wir an anderer Stelle gerade verlieren.
Der Mensch im Anthropozän hat auf die Artenvielfalt eine ähnlich verheerende Wirkung wie der große Meteor-Einschlag vor 65 Millionen Jahren.

Es gab und gibt positive und negative Entwicklungen für den Rhein-Lachs, auch in der Kinzig:
Der Rhein und seine Zuflüsse wurden für Fische wieder durchlässiger und die Wasserqualität hat sich verbessert. In den letzten Jahrzehnten wanderten wieder jedes Jahr hunderte Lachse aus dem Atlantik ins Rheineinzugsgebiet, um hier in der kalten Jahreszeit zu laichen. Doch seit einigen Jahren steigt die Zahl nicht mehr. Sie scheint eher wieder zu sinken. Der Klimawandel, die Wassererwärmung, Niedrigwasser im Rhein und seinen Zuflüssen, das sommerliche Trockenfallen von Laichgewässern, Schiffsschrauben, Fressfeinde wie der Wels, Krankheiten und Parasiten – all dies spielt wohl eine Rolle. Genaue Erkenntnisse gibt es noch nicht. Doch könnte angesichts trocken fallender Bäche langfristig eine teilweise Wasserrückhaltung für unsere Bäche nötig sein, um Natur, Mensch, Lachs, anderen Fischen zumindest mit einer Mindestwassermenge in Extremsommern dienen zu können. Auch eine weitere Verringerung von Mikroverunreinigungen mit Pflanzenschutzgiften, Medikamenten, Plastik und Röntgenkontrastmitteln in unseren Bächen ist unbedingt notwendig.

Die Erfolge in Sachen Wasserqualität und Durchgängigkeit, nicht nur in der Kinzig, sind beachtlich und der Streit hat sich gelohnt. Ein Beispiel für diesen Streit war der Konflikt um die letzte Papierfabrik der Region ohne Kläranlage im Jahr 1996(!), der Usine Kaysersberg, gegenüber von Breisach. Mit den frühen, ersten Protesten 1972 in Donaueschingen gegen die Wasserverschmutzung der Wutach begannen erfolgreiche Veränderungen, die heute im globalen Maßstab, im Zeitalter des Anthropozän, einer Zeit des Überkonsums, der Artenausrottung, der Plastikvermüllung der Meere und der Klimakatastrophe immer noch ganz am Anfang stehen. Die Umweltbewegung wird immer für das gelobt, was sie in der Vergangenheit getan und erreicht hat und sie wird dafür kritisiert, was sie aktuell fordert und durchsetzen will.



Trostlose Flussautobahnen... Elz, Dreisam, Glotter, Kinzig, Rench, Kinzig, Wiese und Schutter...
verbinden Schwarzwald und Rhein. Doch erste kleine Fortschritte sind erkennbar


In der Vergangenheit
wurden die meisten Mittel- und Unterläufe der Bäche und Flüsse am Oberrhein zu geradegestreckten, kanalisierten, trostlosen, naturfernen Kanälen umgebaut. Unser Denken zeigt sich im Zustand der Gewässer. Erstaunlich viele Menschen halten solche naturfernen Kanäle immer noch für "echte Natur". Die großen ökologischen Kämpfe und Konflikte für saubere Gewässer und der Streit für Kläranlagen waren wichtige Erfolge für die Umweltbewegung. Jetzt sollten die landschaftsprägenden Gewässer unserer Heimat in Südbaden durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Dammrückverlegungen, ökologisch aufgewertet, renaturiert und zu grünen Bändern werden, die Rheinauen und Schwarzwald natürlich verbinden. Ein naturnaher Bach mit Badestellen und Naturreservaten ist immer auch ein großes Stück Lebensqualität.
Auch das leider massiv bekämpfte Integrierte Rheinprogramm verbindet in den Auen am Rhein Hochwasserschutz mit Naturschutz.

Renaturierung und Dammrückverlegung
nutzen nicht nur der Natur und dem Lachs, sondern auch dem Menschen. Die Kanalisierung der Bäche und Flüsse im Schwarzwald verschärft rheinabwärts die Hochwassersituation. Durch eine beschleunigte Renaturierung, auch im Rahmen des wichtigen Integrierten Rheinprogramms IRP, könnten zusätzliche Möglichkeiten zur Hochwasserrückhaltung geschaffen werden. Hochwasserschutz ist Menschenschutz und darf nicht nur am Rhein betrieben werden.

Überall wo Wehre die Bäche versperren,
müssen diese wieder durchlässig für Fische und Kleinlebewesen gemacht werden. Hier muss es zu Kompromissen zwischen Naturschutz, Tierschutz und sauberer Energiegewinnung kommen. Positive Entwicklungen sind durchaus erkennbar. Auch hier ist der Fortschritt immer kritisch zu überprüfen. Raue Rampen machen die Bäche durchlässiger. Gleichzeitig waren die tiefen, wasser- und sauerstoffreichen Gumpen unterhalb der alten Wehre gerade in sommerlichen Trockenphasen ideale Rückzugsgebiete für viele Fische.

Grüne Bänder,
das heißt breite, naturnahe Korridore an Elz, Dreisam, Glotter, Kinzig, Rench, Kinzig, Wiese und Schutter, teilweise mit Auecharakter, zwischen Schwarzwald und Rheinaue sollten als Ziel angestrebt werden, gerade um der zunehmenden Landschaftszerschneidung durch neue Verkehrsprojekte am Oberrhein (Bahnausbau) entgegenzuwirken. Dort, wo an wenigen Stellen renaturiert wird, erleben wir manchmal extrem teure und mitunter unnötige Ingenieurbiologie und nicht die notwendigen und kostengünstigen Dammrückverlegungen, die politisch schwerer durchsetzbar sind. Wenn es um Flächen geht, mauert die Landwirtschaft, die den Oberrhein gerade in eine Maissteppe verwandelt. Mit möglichst teuren Maßnahmen können viele, viele Ökopunkte erzeigt werden...
Nicht teure Ingenieurbiologie, sondern große zusammenhängende Flächen in Bachnähe werden gebraucht. Dazu gehört auch die Wiedervernässung von Wiesen in Flussnähe als Maßnahme für einen wirklichen Biotopverbund. Es sollte geprüft werden, wie mit dem geringsten finanziellen Aufwand der größtmögliche Effekt für Mensch, Natur und Umwelt und auch für den Lachs erzielt werden könnte.


Seit einigen Jahren wird der alte Traum der Umweltbewegung und des BUND an ersten Stellen zur Realität.
Wenn jetzt an Elz, Dreisam, Glotter, Kinzig, Rench, Kinzig, Schutter und Wiese endlich Dämme zurückverlegt und Auen geschaffen werden, wenn aus den "Bach-Autobahnen" auf ersten Teilstücken wieder mäandernder Bäche mit Kiesbänken und Auen werden, wenn der Lachs zurückkehren kann, dann hat das auch damit zu tun, dass aus dem Traum auch eine ständig wiederholte BUND-Forderung an die politische Verantwortlichen wurde. Die neuen Natur-Flächen sind schön und wertvoll und dennoch immer auch erkennbar "Reparatur" und wir wissen, dass gerade jetzt mit europäischen Geldern in Südosteuropa die letzten frei fließenden Flusssysteme zerstört und die alten Fehler der Vergangenheit wiederholt werden. So ist das Glas halb voll und halb leer, aber ohne den Druck des BUND und der Umweltbewegung wäre es ganz leer...
Die Natur aus zweiter Hand an Elz, Dreisam, Kinzig, Wiese, Schutter und Glotter wird sich entwickeln. Kommende Hochwasser werden sie mehr verändern als manche Planer heute planen und wir warten auf Lachs und Flussregenpfeifer.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein
Der Autor hat jahrzehntelang für saubere Bäche gekämpft und engagiert sich seit vielen Jahren für die Renaturierung von Rhein, Elz, Dreisam, Glotter, Kinzig, Rench, Kinzig und Schutter






Elz (Dreisam...)
gradgschdregdi
kanalisierdi
izwängdi
zwische de Damme
draimsch vu
Kehre
Welle
Insle

Elz
gradgschdregdi
kanalisierdi
izwängdi
zwische de Damme
draimsch vu
Lachs
Forelle
Biber
vum Rhie vum Meer

was solle mer mache
wenn dini Kraft nimi langd
wenn kei gross Wasser
meh kunnd
wenn under
dinem pflaschderde Ufer
kei Schdrand meh liegd
wenn unseri eigene Draim
gradgschdregd
kanalisierd
izwängd
zwische de Damme liege

Axel Mayer

Der Text könnte natürlich auch Rhein, Glotter, Kinzig oder Dreisam heissen...











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Axel Mayer Mitwelt Stiftung Oberrhein
Mit Zorn und Zärtlichkeit auf Seiten von Mensch, Natur, Umwelt & Gerechtigkeit.


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